„Sie fühlen sich wie Staatsbürger zweiter Klasse“

Von Tanja Reinisch

Ältere Menschen spüren die Veränderungen durch die Corona-Krise auf besondere Weise. Beate Payer, Leiterin des Pflegewohnheims in Turnau, im Gespräch über den Rückzug älterer Menschen aus der Öffentlichkeit und über unseren Umgang mit der älteren Generation in der Zukunft.

Noch in der Arbeitsuniform sitzt Frau Payer vor der Webcam. Sie sieht etwas müde aus, die letzte Zeit war kein Zuckerschlecken für sie. Trotzdem strahlt sie Lebensfreude und eine innere Ruhe aus. Die gebürtige Turnauerin widmet ihr ganzes Herzblut dem 2004 eröffneten Haus in ihrem Heimatort, einem von 16 Pflegewohnhäusern, die die Caritas in der Steiermark betreibt.

Was bedeutet es für ältere Menschen, wenn sie eine Zeit lang aus der Öffentlichkeit verschwinden müssen?

In der ersten Zeit war es für die BewohnerInnen selbstverständlich, weil sie aus den Medien wahrgenommen haben, dass diese Ausgangsbeschränkung für alle gilt. Jetzt hören sie aber, dass immer mehr Geschäfte öffnen, und dass man sich wieder freier bewegen darf. Gleichzeitig bekamen wir aber die Anordnung vom Land Steiermark, dass BewohnerInnen, die im Freien spazieren gehen, danach für eine Woche in Isolierung im Zimmer bleiben müssen. Da bekommen sie das Gefühl, dass sie Staatsbürger zweiter Klasse sind.

Glauben Sie, dass die älteren Herrschaften vor Problemen stehen, wenn die Krise vorbei ist?

Das glaube ich nicht. Wir haben uns wirklich bemüht, Normalität weiter zu leben. Man merkt jetzt, seitdem die Besuchszeiten etwas gelockert wurden, dass es eigentlich keine Probleme gibt.

Der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx schreibt in einem Text zur Pandemie: „Paradoxerweise erzeugt die körperliche Distanz, die das Virus erzwang, gleichzeitig neue Nähe.“ Trifft das auch auf alte Menschen zu, die sich vielleicht nicht so gut mit der Technologie auseinandersetzen können?

Diese Erfahrung haben wir gemacht. Wir haben BewohnerInnen, die mittels Tablet Videotelefonate geführt haben. Oft auch, wenn die Angehörigen im Ausland leben. Bei einigen funktioniert das ganz gut und sie sind natürlich begeistert von der Technologie. Sie brauchen dabei aber Unterstützung. Selbstständig können es die Wenigsten. Mit den Seniorenhandys können sie zwar kommunizieren, aber so ein Tablet ist etwas völlig Neues.

Denken Sie, dass sich unser Umgang mit älteren Personen durch die Corona-Krise ändern wird?

Payer:
Da bin ich mir nicht sicher. Ich habe teilweise den Eindruck, dass die BewohnerInnen in Pflegewohnhäusern und Pflegeheimen als “Virenschleudern” dargestellt werden. Man hat das Gefühl, dass man die älteren Leute ganz bewusst wegsperren will – selbstverständlich immer mit dem Hintergedanken, dass sie eine absolute Risikogruppe sind. Auch in den Medien wurde anfangs oft publiziert, dass man sofort alle BewohnerInnen und MitarbeiterInnen von Pflegeheimen testen soll. Das hat sich dann verzögert auf Herbst. Gleichzeitig werden aber bei großen Vereinen wie dem ÖSV hunderte von MitarbeiterInnen getestet. Da spielen Kapazitäten und Geld einfach keine Rolle. Also glaube ich nicht, dass sich etwas durch die Pandemie ändert. Diejenigen, die vorher auch schon sehr bewusst mit älteren Menschen umgegangen sind, werden vielleicht noch bewusster, aber generell glaube ich das nicht.

Hatten Sie Sorgen bezüglich der Sicherheit Ihrer KlientInnen?

Ja, natürlich. Ich weiß von KollegInnen, wie dramatisch diese Krankheitsverläufe sind. Wir haben mit einigen BewohnerInnen Vorsorgegespräche geführt, in denen sie festlegen konnten, was passieren soll, falls sie sich selbst nicht mehr äußern können. Es ist eine Gratwanderung zwischen Besuch zulassen und achtsam sein, dass man die Hygieneverordnungen einhält.

Waren Sie gut auf so eine Pandemie vorbereitet?

In kurzer Zeit haben wir sehr gute Vorbereitungen getroffen. Auch mit dem Land Steiermark haben wir sofort erhoben, wie viel Schutzausrüstung zur Verfügung steht. Es sind über Bedarfsmeldungen, die wöchentlich zu bringen waren, sofort auch die Bedarfsmengen geliefert worden. Da waren wir rasch sehr gut bestückt. Und auch was Empfehlungen und Krisenpläne betrifft, war auch sehr schnell hilfreiches Material verfügbar.

6. Mai 2020