„Jeder vierte Wirt wird zusperren“

Von Hannah Schultermandl

Der Gastronomie stehen trotz Wiedereröffnung harte Zeiten bevor. Die Gastronomin Silvia Trippolt-Maderbacher sieht die Krise zwar als Chance für die Branche, bleibt mit ihren Prognosen jedoch realistisch.

Gemeinsam mit ihrem Mann Josef führt die gebürtige Leibnitzerin Silvia Trippolt-Maderbacher das Drei-Hauben-Restaurant „Trippolt zum Bären“ im Kärntner Bad St. Leonhard. Die zweifache Mutter ist Autorin zahlreicher Genuss-Bücher und leitet die Textagentur „Gedanken-Werkstatt“.

Wie ging es Ihnen und Ihrem Betrieb während des Shutdowns?

Überraschenderweise sehr gut. Als Gastronomin hätte ich jammern, weinen, die Situation beklagen können – aber wir sind gesund und das ist das Wichtigste. Von der Corona-Situation wurden wir aber massiv getroffen: Mein Restaurant war geschlossen, meine Textagentur hat Einbußen von bis zu 90 Prozent und der Büchermarkt, mein drittes Standbein, ist komplett eingebrochen. Ich könnte rund um die Uhr klagen, tue es aber nicht. Vor allem deshalb, weil ich glaube, dass diese Krise für die Gastronomie eine riesige Chance sein kann. Unsere Branche wird sich neu aufstellen müssen. Nach dieser Zäsur startet man wieder bei Null. Man muss hoffnungsvoll sein, denn es bleibt nichts anderes übrig.

Werden die Menschen auch in Zukunft vermehrt auf Regionalität setzen?

Ich kann das Wort „Regionalität“ nicht mehr hören. Unser Betrieb lebt seit Jahrzehnten Regionalität, Verantwortung in puncto Soziales, Ökonomie und Ökologie. Interessant ist, dass solch eine bombastische Krise passieren muss, um die Arbeit dahinter zu erkennen. Wir arbeiten genau gleich wie vor der Krise, außer, dass sich unsere Öffnungszeiten geändert haben. Das Regionale ist bei uns in Fleisch und Blut übergegangen, wir kennen es nicht anders. Diese falsch verstandene Art von Globalität hat keine Zukunft. Diejenigen, die jetzt nach Regionalität schreien, sind die Leute, die am Land nicht wissen, wo sie Hühnerfleisch kaufen können. Das ist die eigentliche Krise.

Glauben Sie, dass die Leute sich in der Krisenzeit mehr mit dem Kochen auseinandergesetzt haben und es auch künftig tun werden?

Die Leute sind es nicht mehr gewohnt, für die ganze Familie zu kochen. Jetzt wird wieder tüchtig in den Töpfen gerührt. Vor allem sonntags haben sich unsere Gäste telefonisch bei uns gemeldet und wollten beispielsweise wissen, wie sie am besten Kalbsfleisch verwerten können, wie man Brot bäckt oder wie Teigtaschen gelingen. Es ist sehr spannend, dass Personen Grundnahrungsmittel jetzt wieder zu schätzen wissen. Ich glaube, in Zukunft werden die Leute das Kochen zum Teil fortführen. Wenn das Home-Office aufgelöst wird und die Kinder in die Schule gehen, sieht der Alltag wieder anders aus.

Viele Betriebe, die vorher keinen Lieferservice angeboten haben, sind während der Krise auf diesen Trend aufgesprungen. Warum Sie nicht?

Darf ich etwas Provokantes sagen? Mir tut mein Essen leid – unsere Gerichte passen in keine Plastikverpackung. Mir ist lieber, einen Trend nicht mitzumachen und Haltung zu bewahren. Ich glaube, es ist das größte „Hungerleidergeschäft“ aller Zeiten. Im urbanen Bereich funktioniert es – die Wege sind kurz, die Auftragslage ist sehr gut. Am Land habe ich Mitleid mit den Kollegen, die 80 km fahren müssen, um drei Schnitzel auszuliefern.

Ändern die Menschen aufgrund der Krise ihr Einkaufsverhalten?

Ich war in den ersten sieben Wochen zweimal im Supermarkt und habe dort gefragt, wie sich das Einkaufsverhalten geändert hat. Viele Verkäuferinnen sagen, dass die Leute mehr auf einmal kaufen, dafür aber seltener. Was ich an meinem eigenen Einkaufsverhalten beobachte, ist der „Mut zur Lücke“. Das heißt, wenn im Supermarkt in einer Reihe fünf Produkte nicht erhältlich sind, ist es den Leuten egal. Vor Corona wäre es schlimm gewesen, wenn es eines davon nicht mehr gegeben hätte. Jetzt kauft man eben ein anderes. Für mich hat sich trotz Corona nichts verändert. Ich habe immer azyklisch gelebt.

Welche Prognosen haben Sie für die Gastronomie für den Rest des Jahres?

Meine Prognosen sind, dass mindestens jeder vierte Wirt zusperren wird. Jetzt noch nicht, sondern erst in ein paar Wochen oder Monaten. Wenn wir wieder aufsperren dürfen und die Gäste ausbleiben, haben Gastronomen ein Problem, da man trotzdem jeden Mitarbeiter bezahlen muss. Wir zählen sehr auf unsere Stammgäste und es herrscht extreme Solidarität. Ich merke auch, dass Stammgäste ihre Lokale wirklich brauchen und mögen. Ich hätte nie geglaubt, wie eng man am Gast arbeitet.

2. Mai 2020