Von Florian Schantl
Die Corona-Krise trifft die Luftfahrt besonders hart. Luftfahrtexperte Cord Schellenberg über die Zukunft von Geschäftsreisen, den Staat als Unternehmer und die Hoffnung, dass die Reisebeschränkungen wenigstens minimale positive Nebenwirkungen haben.
Cord Schellenberg zählt zu den bekanntesten Luftfahrtexperten im deutschsprachigen Raum und tritt in dieser Funktion regelmäßig im Fernsehen auf. Zudem leitet er die PR-Agentur Schellenberg & Kirchberg in Hamburg. Als Vize-Präsident des Luftfahrt-Presse-Club e.V. setzt er sich für die Interessen von Journalisten und PR-Vertretern in der Luft- und Raumfahrt ein.
Der Begriff „flightshaming”, zu Deutsch „Flugscham”, war in den letzten Monaten in den Medien präsent. Werden künftig Reisende vermehrt für die Umwelt auf Flugreisen verzichten?
Ich halte das für einen absoluten Kunstbegriff. Es ist eine Kunstdebatte, denn es geht stets um die Frage, ob ein Flug sinnvoll ist. Wenn er für mich nicht sinnvoll ist, dann brauche ich ihn nicht anzutreten. Man muss sich nicht dafür schämen, mit dem Flugzeug zu reisen. Nicht viele Menschen werden ihr Verhalten ändern. Die, die es ändern wollen, können andere Reisemittel für sich nutzen. Trotzdem komme ich momentan zum Beispiel mit der Bahn von Norddeutschland nur sehr umständlich nach Südeuropa. Da bin ich noch nicht einmal außerhalb Europas. Ohne Flugreisen funktioniert es nicht.
Viele Unternehmen führen Besprechungen derzeit über Videokonferenzdienste durch. Könnte es zu einem Rückgang von Geschäftsreisen kommen?
Seit zehn Jahren werden Videokonferenzen als Mittel zur Kostensenkung dargestellt. Die Menschen finden das eine gewisse Zeit lang sicherlich in Ordnung. Es wird ein bisschen weniger gereist. Aber Geschäftsreisen, die nicht notwendig sind, macht man ja auch nicht. Gleichzeitig wird aus einem normalen Telefonat ein Videocall. Dadurch sehe ich wirklich notwendige Geschäftsreisen nicht gefährdet.
Wann machen Geschäftsreisen Sinn?
Was immer wieder zurückkommt, ist der Wunsch, Menschen zu sehen und kennenzulernen. Auch zu schauen, ob Vertrauen erreichbar ist und ob man auch den Dingen, die jemand schriftlich berichtet hat, trauen kann. Kontrolle ist wichtig. Im Video bekomme ich wahrscheinlich fünf nette Mitarbeiter und ein wunderschönes Gebäude gezeigt. Aber wie sieht das denn aus, wenn ich nicht anrufe? Mit Wettbewerbern kann man keine Termine vereinbaren, sondern man trifft sich mit ihnen bei einer Abendveranstaltung oder auf einem Branchenevent.
Die Reisebeschränkungen werden wohl noch länger Bestand haben. Den Sommerurlaub werden viele in ihrem Heimatland verbringen. Wie können sich Fluggesellschaften darauf vorbereiten?
Wenn ich etwas längere Inlandsstrecken zurücklegen muss, kann das Flugzeug weiterhin das Transportmittel der Wahl sein. Es gibt zwar Zugverbindungen, aber in der derzeitigen Lage möchte ich nicht zwischen sechs und neun Stunden im Zug verbringen, sondern lieber eine Stunde fliegen. Das persönliche Sicherheitsempfinden der Kunden wird ebenfalls eine große Rolle spielen. Für die Fluggesellschaften kann es nur ein Herantasten sein.
Wann, denken Sie, ist mit einer Nachfrageerholung zu rechnen?
Da ich keine Kristallkugel besitze, bleibe ich bei zwei bis drei Jahren, die ich mir vorstellen kann. Dann werden wir den alten Stand wieder erreicht haben. Ob wir jetzt Ende des Jahres, wie einige Airlines schon vermuten oder hoffen, bei 25 Prozent sein werden, kann man sehr schwer sagen. Es kann auch sein, dass wir nicht nur die Sommerferien verpassen, sondern auch die Herbstferienzeit und das Ganze erst im November losgeht. Ganz entscheidend ist die Frage, welche Länder ihre Grenzen zuverlässig öffnen. Wo können die Fluggäste sicher sein, dass sie auch wieder nach Hause kommen und nicht anschließend 14 Tage in Quarantäne müssen?
Die Lufthansa hat eine Einigung mit dem deutschen Staat erzielen. Auch in Österreich verhandelt die AUA mit dem Staat. Was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als sie diese Pläne zum ersten Mal gehört haben?
Das gehört derzeit zur Realität dazu. In den Medien kursieren Bilder von abgestellten Flugzeugen und von Radarschirmen, auf denen keine Flugzeuge zu sehen sind. Das alles ist eine große Unwirtschaftlichkeit. Mich hat eher überrascht, dass die Regierungen nun anfangen sich zu überlegen, wie man Politik in Unternehmen hineintragen kann. Das sollten sie besser lassen. Denn der Staat war wirklich noch nie ein guter Unternehmer. Ich sehe nichts, was Politiker nun plötzlich innerhalb der AUA, der Lufthansa, der Swiss oder auch der Air France zum Guten verändern könnten. Außer Posten anzustreben und wie früher protektionistisch zu wirken. Es ist plötzlich wichtig, dass alle Aufträge in den eigenen Ländern bleiben. Es ist jedoch eine globale Branche. Es macht keinen Sinn, nur an Europa zu denken.
Um dieses Gespräch mit einer guten Nachricht abzuschließen: Welche positiven Entwicklungen passieren gerade in der Luftfahrt?
Richtig positive Entwicklungen sehe ich keine. Ich sehe vielleicht eine Hoffnung und zwar darin, dass zwei Dinge Corona auf jeden Fall überdauern. Das eine ist das Interesse der Menschen an anderen Menschen und damit an Reisen. Die Neugierde auf die Welt kann nur größer werden, wenn man nicht reisen kann. Das Zweite ist, dass die Luftfahrt technologisch in den letzten Jahrzehnten sehr stark die Entwicklung vorangetrieben hat. Wir haben es hier mit einer Branche zu tun, die gerade für so eine Krisenzeit die richtigen Rezepte hat. Nämlich moderne Flugzeuge mit geringerem Verbrauch zu entwickeln, die 20 bis 30 Jahre lang sinnvoll eingesetzt werden können. Dazu kommen noch die vielen hochqualifizierten Arbeitskräfte im technischen Bereich und in der weltweiten Produktion. Das ist etwas, das man nach der Krise braucht. Für alle Airlines, die vor der Krise gut gewirtschaftet haben, habe ich die Hoffnung, dass es für sie nach der staatlichen Unterstützungswelle wieder aufwärts geht.
6. Mai 2020