Von Sarah Kowatschek
Sozialpsychologe Markus Brunner warnt angesichts vor voreiligen Gesellschaftsanalysen in der Corona-Krise. Was er füchtet: eine größere Wirtschaftskrise und dass die sozial Schwächeren den größten Teil der Bürde tragen müssen.
Sicherheitsabstand, kein Hände-Schütteln, und Maskenpflicht in geschlossenen öffentlichen Räumen. So sehen die Maßnahmen der Bundesregierung aus, um das Corona-Virus einzudämmen. Für Menschen, die es gewöhnt sind, Freunde und Familie herzlich zu umarmen, eine große Umstellung. Wie wird das nach der Pandemie sein? Was bedeuten die Maßnahmen für die Zukunft unserer Gesellschaft? Sozialpsychologe Markus Brunner, der sich an der Sigmund-Freud-Universität in Wien schwerpunktmäßig mit Traumatheorien sowie der Sozialpsychologie von Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus beschäftigt, ist der Überzeugung, dass es für definitive Antworten auf diese Fragen noch zu früh ist.
Was lernen Sie hinsichtlich Ihres Forschungsfeldes aus der momentanen Situation?
Ich glaube, dafür ist es zu früh. Es gibt wenige Studien. Wir sehen nur, wie die Menschen in sozialen Netzwerken oder beim Einkaufen reagieren. Für mich ist spannend, dass wir alle mit so viel Nicht-Wissen umgehen müssen. Nicht zu wissen, wie es weitergeht. Am Anfang wusste man auch wenig darüber, ob und wie sich das Virus verbreitet. Das produziert große Unsicherheit. Auch bei mir als Wissenschaftler. Ich beschäftige mich viel mit Nationalismus und Autoritarismus. Dabei geht es immer darum, wie Angst- und Feindbilder produziert werden. In der momentanen Situation ist es schwierig abzuschätzen, wie viele der Ängste real sind und bei wie vielen es sich um irrationale Ängste und Panikmomente handelt. Wir stehen am Anfang und werden erst sehen, wie die Leute mit all dem umgehen und wie sich die Situation auswirken wird.
Wie wichtig ist der soziale Kontakt zwischen Menschen für die Psyche?
TherapeutInnen und klinische PsychologInnen sagen, es sei wichtig, über Ängste zu sprechen und mit anderen in Kontakt zu bleiben, damit man nicht in eine Einsamkeitsschleife gerät. Dieser Meinung bin ich auch. Einsamkeit betrifft vor allem diejenigen, die allein leben. Andere haben vielleicht sogar zu wenig Privatleben. Auch das kann zu Stress führen. Die ganze Zeit auf engem Raum mit der Familie oder dem Partner, der Partnerin zu leben, ohne Rückzugsmöglichkeit, kann Spannungen verursachen. Der Kontakt, so sagen alle, sei wichtig. Gleichzeitig glaube ich aber, dass nicht immer nur die Kontaktlosigkeit das Problem ist.
Sie beschäftigten sich unter anderem mit Traumata. Denken Sie, dass auch die Corona-Krise bei gewissen Menschen Traumata auslösen wird?
Ich glaube, dass diese Situation, eine soziale oder psychische Isolierung der Menschen, triggernd wirken könnte auf Menschen, die bereits traumatisiert sind. Durch Corona selbst wurden in Österreich bisher wohl kaum Menschen traumatisiert. Wir haben Menschen, die Angst haben, und Menschen, die um eine Person trauern müssen. Ich bin mir nicht sicher, ob der Trauma-Begriff angemessen ist. Es ist natürlich eine Ausnahmesituation, die sehr viele Gefühle auslöst. Und diese Gefühle werden auf unterschiedliche Art und Weise verarbeitet. Sowohl individuell als auch kollektiv.
Welche gesellschaftlich etablierten Normen werden sich durch das Coronavirus nachhaltig verändern?
Ich finde es aktuell schwierig, Prognosen zu machen und würde mit solchen auch vorsichtig sein. Die Leute haben ihr Verhältnis zu ihrem Körper und die Interaktionen, wie sich Körper begegnen, sehr schnell geändert. Das deutet aber auch darauf hin, dass es schnell wieder anders werden kann. Vielleicht kommt gerade durch die Isolation eine Sehnsucht nach diesem Körperkontakt wieder auf. Ich glaube, da kann sehr viel passieren.
Philosophin Lisz Hirn ist überzeugt, wir werden die Chance ungenutzt lassen, durch die Krise unsere Gesellschaft neu zu ordnen. Andere meinen, dass das Virus unsere Gesellschaft nachhaltig verändern wird. Welcher Meinung würden Sie sich eher anschließen?
Es wäre zu hoffen, dass sich etwas zum Positiven hin verändert. Die historische Erfahrung aber zeigt, dass sich selten sehr viel ändert. Daher bin ich skeptisch. Es wird eine größere Wirtschaftskrise infolge der Maßnahmen kommen. Und ich befürchte, die sozial Schwächeren werden den größten Teil der Bürde tragen müssen. Aber das ist eine Frage von politischer Aktivität, denn so etwas läuft nicht automatisch ab. Es hängt mit der Politik zusammen, aber genauso damit, wie sich Menschen artikulieren, was die Bevölkerung eines Landes fordert und wer etwas durchsetzen kann.
Man hört in den Medien viele positive Geschichten: Menschen lernen ihre NachbarInnen kennen, gehen für sie einkaufen. Hat die Krise auch positive Aspekte? Oder denken Sie, der Zusammenhalt ist nur von kurzer Dauer, vergleichbar mit der Solidarität rund um die Migrationswelle 2015?
Der Vergleich ist schwierig, es handelt sich um zwei unterschiedliche Phänomene. Damals gab es eine große gesellschaftliche Solidarisierungswelle, die bald verpuffte und umschlug. Ich glaube, es ist etwas anderes, wenn sich Nachbarinnen und Nachbarn näher kennenlernen. Mit persönlichem Kontakt könnte das nachhaltiger sein, muss es aber nicht. Es kann genauso sein, dass man nach der Krise diesbezüglich in einen Alltagstrott zurückfällt und die Leute wieder für sich leben. Es könnte auch sein, dass die Leute genervt sind von den vielen sozialen Kontakten, die sie jetzt über soziale Medien haben, und sich vielleicht noch mehr zurückziehen. Wir wissen es nicht, aber es wird sich zeigen.
21. April 2020