„Wir werden Aggression, Ärger und Wut sehen“

Von Anna Papst

Ex-Politiker und Autor Matthias Strolz hat während der Corona-Krise Zeit für ein neues Buch gefunden. Wie er das Krisenmanagement der Regierung einschätzt und warum er glaubt, dass die Krise noch längst nicht ausgestanden ist.

Das Corona-Virus hat dem Autor Matthias Strolz einen Strich durch die Rechnung gemacht, musste er doch die Lesetour zu seinem Buch “Sei Pilot deines Lebens” absagen. Dafür hat er Zeit für ein neues Buch gefunden, eines, das “Kraft & Inspiration für diese Zeiten” spenden will. Es würden sich immer wieder neue Türen öffnen, wenn Alte sich schließen, davon ist der Autor, Unternehmer und frühere  Klubobmann der NEOS im Nationalrat überzeugt. Pünktlich um 16 Uhr startet wie vereinbart der Skype-Anruf. Matthias Strolz wählt seine Worte mit Bedacht, er formuliert differenziert und holt bei seinen Antworten auch schon einmal weit aus.

Wie stehen Sie der „neuen Normalität“ gegenüber?

Naja, mit gemischten Gefühlen. Ich glaube, dass die Zeit nach Corona noch schwer abschätzbar ist. Die Krise verläuft nicht linear. Sie ist nicht irgendwann zu Ende und alles hüpft wieder ins alte Zahnrad. Ich glaube, dass es multiple Folgekrisen geben wird, wie in der Finanzkrise 2008. Es wird uns allen noch viel abverlangen, da bin ich mir sicher.

In der Talkshow von Barbara Stöckl zu Beginn der Krise benutzten Sie den geflügelten Satz: „Never waste a good crisis.” Wie geht Österreich mit dieser Krise um? Lassen wir sie ungenutzt?

Ich glaube, dass wir auf der gesundheitspolitischen Seite durchaus erfolgreich waren. Abschließend beurteilen kann man es nicht, es droht immer noch eine zweite oder dritte Welle, vor der man Respekt haben muss. Ein weiterer Shutdown würde in der Wirtschaft viel systemischen Schaden anrichten und gewaltige soziale Probleme hervorrufen. Die Wirtschaft ist für die Menschen da, auch wenn das manche nicht glauben. Wenn die Wirtschaft nicht mehr funktioniert, übersetzt sich das in menschliche Tragödien.

Und politisch?

Auf der politischen Seite ist es noch nicht abschätzbar, was Österreich daraus macht. Klar ist, dass das Budget nicht halten wird und das Regierungsprogramm in dieser Form schwer umsetzbar ist. Die Fantasie der Regierenden ist überschaubar, das war sie aber schon immer. Wir sind nicht im luftleeren Raum, wir sind hoch vernetzt. Daher ist Österreich exportabhängig, sowohl im Tourismus als auch in der Industrie. Deshalb würde ich mir erwarten, dass aus Österreich europäische gestaltende Initiativen kommen, aber das ist eine völlige Nullnummer. Gemacht wird, was irgendwie populistisch ankommt. Das wird durchaus charmant vorgetragen und differenziert, aber de facto ist es Populismus.

Die Arbeitslosigkeit ist in der Krise massiv angestiegen. Wie wird die Wirtschaft das verkraften?

Die Wirtschaft ist ein riesiger Tausendfüßler. Du kannst ihr 50 oder 100 Füße wegschneiden, die wachsen nach. Natürlich wird es rumpeln, aber die Wirtschaft ist ein resilientes System. Aus den Ruinen, die jetzt geschlagen werden, wird wieder Neues gebaut. Ich glaube, wir sind Krisen nur nicht gewohnt, aber an und für sich gehören sie dazu. 2008 haben wir uns von der Krise freigekauft. Wir haben sie verwässert mit dem Vorteil, dass sie nicht so hart zugeschlagen hat. Und mit dem Nachteil, dass wir keine Lehren daraus gezogen haben. Aber ich glaube nicht, dass die Europäische Zentralbank diese dumpfen Anleihekäufe weitermachen sollte, wie sie es derzeit macht. Das halte ich aus verteilungspolitischen Gründen für einen Wahnsinn. Das Geld kommt nicht in der Mitte der Gesellschaft an, sondern bei denen mit Informationsvorsprung.

In Ihrem Buch „Sei Pilot deines Lebens“ schreiben Sie, dass man im Leben oft an Punkten steht, an denen ein neues Kapitel beginnt. Wenn ein selbstständiger Unternehmer durch die Corona-Krise in ein neues Kapitel geworfen wird, wie geht er mit dieser Veränderung am besten um?

Ich habe in diesem Buch einen fünfschichtigen Prozess der persönlichen Entfaltung beschrieben. Wenn mich das Leben in die Neuerfindung stößt, dann tut es weh. Das wäre Schichtung 1: „bewusst werden“. Dazu braucht es ein Innehalten und ein Anerkennen der Gefühle: Aggression, Wut, Angst, Traurigkeit, Nervosität oder auch die Freude auf was Neues. Dann geht es darum, dieses Loslassen anzuerkennen und zu integrieren. Ich selbst habe auch sehr viel Geschäft verloren. Wenn ich nur auf die Umsatzzahlen schaue, sind 80 Prozent weg. Da wird manches wieder zurückkommen, anderes nicht. Ich bin sehr froh, dass ich einen Finanzpolster habe, nach einem erfolgreichen Halbjahr davor, der mich in den Herbst trägt. Aber ich kann ermessen, wie es für jene ist, die keinen Polster haben, es ist brutal. Im Leben gehen nie Türen zu, ohne dass andere sich öffnen. Manchmal gehen andere zeitversetzt auf, da braucht man ein bisschen Geduld. Das Wechselbad der Gefühle gehört dazu.

Kann man Ihr 5-Schichten-Modell in der jetzigen Situation auf unsere Gesellschaft übertragen? In welcher Schichtung befinden wir uns als Kollektiv?

Ja, ich glaube man kann es mit Abstrichen übertragen. Es ist ein wissenschaftlich inspiriertes Modell, ich habe es aber nicht wissenschaftlich getestet. Bezüglich der Corona-Krise sind wir immer noch in Schichtung 1. Das war schon bei der Finanzkrise interessant zu beobachten: Die Lehman Brothers sind am 15. September 2008 krach gegangen, aber erst im Februar 2009 hat die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung einen negativen Ausblick daraus gesehen. Es ist erstaunlich, wieviele Monate es dauert, bis sich das integriert. Es wird demnächst schon dominanter werden, wir werden Aggression, Ärger und Wut sehen. Und wir werden sehen, wie das das politisch bewältigt wird. Das wird uns länger beschäftigen, denn die wirtschaftliche Krise wird erst im nächsten Jahr voll aufblühen. Dann schauen wir mal, welche weiteren Folgekrisen sich daraus ergeben – gesellschaftlich oder politisch. Wir werden sehen, wie es mit Italien weitergeht, dem Euro, Banken- und Währungssystemen oder dem internationalen System. Was im Moment am Markt läuft, hat großes Konfliktpotential zwischen verschiedenen Staaten.

Welche Erfahrungen nehmen Sie für sich selbst aus der Krise und aus der Zeit daheim mit?

Zu Hause ist es einerseits schön, andererseits immer wieder eng mit drei Kindern. Es gibt Reibung und es ist durchaus herausfordernd. Aber ich habe zum ersten Mal mit meinen Mädels Fußball gespielt und habe zum ersten Mal Nachtwanderungen gemacht. Der Geschirrspüler läuft dreimal am Tag und der Abfallkübel ist gefühlt jeden Tag voll. Wir sind hier ein kleiner Gastronomiebetrieb für fünf Leute. Es ist ein Auf und Ab, man ist nicht jeden Tag gleich gut gelaunt. Corona life means ups and downs.

5.Mai 2020