Von Petra Schwarz
Ernst Sittinger, Mitglied der Chefredaktion der Kleinen Zeitung, über den Relevanzschub von Journalismus in Zeiten der Krise und die dennoch anhaltende Bedrohung des Berufsstandes.
Ernst Sittinger ist Mitglied der Chefredaktion der „Kleinen Zeitung“, für die er auch als Innenpolitik-Journalist tätig ist. Nach seinem Jus-Studium arbeitete er unter anderem auch für den „Standard“ und die „Presse“. Bereits vor 15 Jahren schrieb er in seinem Buch “Das Ende des Journalismus” darüber, dass der Berufsstand bedroht sei. Im Jahr 2018 wurde Sittinger mit dem renommierten Kurt-Vorhofer-Preis ausgezeichnet.
Wie fühlt sich das an, in der Chefredaktion ohne Redaktion?
Es fühlt sich ungewöhnlich aber nicht unbewältigbar an. Wir sind über die elektronischen Medien täglich mit unseren KollegInnen im Homeoffice verbunden.
Wie würden Sie den Stellenwert von seriösem Journalismus in der Gesellschaft vor, während und nach dieser Krise einordnen?
Journalismus war bereits vor der Krise wichtig, da unsere Welt immer komplexer wird und wir alle Nachfrager fundierter Informationen sind. In Zeiten besonderer Vorkommnisse erlebt er aber einen Relevanzschub. Unsere Rolle hat sich etwas verändert. Wir sind aber nach wie vor niemandem außer unserer Leserschaft und damit der Gesellschaft und dem Allgemeinwohl verpflichtet. Nach der Krise wird das unmittelbare Interesse womöglich etwas abnehmen. Wir sehen aber, dass uns heute das gesamte Weltgeschehen betrifft. Hier wird das vernetzte Wissen der Journalisten weiterhelfen.
Der VÖZ berichtet bereits, dass die Printbranche enormen wirtschaftlichen Schaden durch die Stornierung von Werbeschaltungen bzw. Inseraten erleidet. Haben Sie Angst um die Kleine Zeitung?
Angst um die Kleine Zeitung ist wohl das falsche Wort. Dass starke Rückgänge zu verzeichnen sind, die nicht ins Budget eingeplant bzw. auf die wir nicht vorbereitet sind, ist richtig. Dieses Problem beschäftigt uns sehr, aber eine unmittelbare Existenzangst wäre nicht gerechtfertigt. Es zeigt auch, wo die Medienlandschaft insgesamt steht. Unabhängiger Journalismus ist etwas Teures. Wir müssen täglich beweisen, dass wir das Geld wert sind.
Gehen in Krisenzeiten andere wichtige Themen verloren?
Es mag sein, dass manches nicht so beleuchtet wird, wie es gehört. Allzu viel wird aber nicht an der öffentlichen Aufmerksamkeit vorbeigeschummelt. Wir versuchen, andere Themen nicht völlig zu vergessen, das ist aber auch sehr plattformabhängig. Viele Sichtweisen zuzulassen, offen und transparent über Zugänge zum Thema zu diskutieren und letztlich jede NutzerIn selbst eine Meinung bilden zu lassen, ist wichtig.
Welche Veränderungen sehen Sie selbst für die Medien nach solch einer Krise?
Ökonomisch betrachtet kann es für manche Medien schwieriger werden. Es gibt aber neue Chancen: zum Beispiel neue Leserschichten ansprechen, stärker Wert auf Gesundheitsthemen legen oder die Standfestigkeit der Wirtschaft. Technisch werden wir manches aus der Krise beibehalten, Videokonferenzen etwa. Journalismus wird aber weiterhin von persönlichen Kontakten leben. Ich bin gespannt, ob große Veranstaltungen verstärkt Livestreams anbieten und wir uns so Reisen ersparen werden.
Bereits 2005 haben Sie in Ihrem Buch angesprochen, dass der Journalismus bedroht sei. Wie sehen Sie das heute?
Immer weniger Menschen sind bereit, für Journalismus zu bezahlen und öffentliche Themen werden zunehmend von anderen Kräften vorgegeben. Das galt damals und ich würde es heute sogar verstärken. Jeder kann über die sozialen Medien selbst Journalist sein und eine Gemeinschaft um sich versammeln. Viele Fake News erzeugen den Eindruck, die offiziellen Medien wären gelenkt und würden die Wahrheit verschweigen. Es ist mühsam, einen Großteil der Arbeitszeit aufwenden zu müssen, in solche Meinungs- oder Deutungshoheitskämpfe einzutreten. Aber hier bin ich nicht ängstlich oder mutlos.
Was glauben Sie, haben wir durch die Krise gewonnen, was verloren?
Verloren haben wir die Gewissheit, alles im Griff zu haben. Das ist eine völlig neue Elementarerfahrung. Gewonnen haben wir vermutlich die Einsicht, dass wir nicht so souverän Meister unseres Schicksals sind, wie wir tun. Das ist eine kulturelle Erfahrung, die uns weiterbringt. Ich wünsche mir, dass wir alle diese Chancen nützen, neu über den Rahmen, in dem unser Leben stattfindet, nachzudenken.
Haben diese Gewinne bzw. Verluste auch einen Einfluss auf die Medienlandschaft?
Die Medienlandschaft lebt immer mit und ist Resonanzboden für die Gesellschaft. In Kürze gibt es sicher eine starke Debatte über die Verfassung, über das Recht bzw. den Rechtsstaat. Es gibt ganz viele Reflexionsebenen und Medien sind immer stark mit dem verknüpft, was alle Menschen beschäftigt.
Was nehmen Sie persönlich aus dieser Zeit mit?
Wir sollten uns bewusst machen, dass es eine aberwitzige Extremform von Luxus ist, in der wir leben. Nichts von dem ist selbstverständlich und wir täten gut daran, wenigstens einen Teil davon zurückzuschrauben. Weiterkommen werden wir nur, wenn jeder bei sich selbst beginnt.
14. April 2020