„Man kann auch ohne Sport-Events und Schönheits-OPs leben“

Von Michaela Gsell

Zum Schutz ihrer Familie hat sich die pensionierte Krankenschwester Ingrid Amschl gleich zu Beginn der Pandemie in Selbstisolation begeben. Ein Gespräch über „freiwillige“ Quarantäne, die persönliche Ruhe in der Krise und das Ende der Selbstverständlichkeiten.

Ihr ganzes Leben hat sich die ehemalige Krankenschwester Ingrid Amschl der Pflege von Kranken und Schwachen gewidmet. Auch in der Corona-Krise sorgte sich die Pensionistin um ihre Mitmenschen und hat sich – zum Schutz ihres Mannes und ihrer Mutter – freiwillig in Selbstisolation begeben. Und das schon vor Eintreten der Ausgangsbeschränkungen. Seit den Lockerungen geht die Familie ab und zu zur Apotheke oder zum Baumarkt, ansonsten bleiben sie aber weiterhin zuhause.

Ihr habt euch schon am 11. März in eurem Haus in Graz in Selbstisolation begeben. Wie ging es euch?

Eigentlich recht gut, mit schönem Wetter und einem Garten beim Haus. Meine Mutter ist 88 Jahre alt und mein Mann ist herzkrank. Deshalb mussten wir uns einbunkern. Aber wir genossen die Natur und arbeiteten im Garten. Den Einkauf machten die Kinder. Sie stellten die Einkaufstaschen vor das Tor, wir holten sie ab und trugen alles ins Haus. Falls wir kurz mit unseren Kindern redeten, hielten wir mindestens zwei Meter Abstand ein, wenn nicht mehr. Das größte Problem war, dass wir die Enkelkinder nicht sehen durften. Das tat weh. Das schmerzte.

Wann war der Moment, an dem ihr euch zu diesem Schritt entschlossen habt, weil es zu gefährlich wurde?

Als es bei meiner Tochter, die im Krankenhaus arbeitet, die ersten Corona-Fälle gab. Da ist sie aus unserem Haus zwischenzeitlich zu ihrem Bruder gezogen und bleibt dort auch für eine Weile. Mein Mann, meine Mutter und ich haben uns daraufhin eingebunkert. Das war, glaub ich, zwei Tage vor der offiziellen „Quarantäne für alle“. Wir hätten es also auch ohne Verordnung von der Regierung so gehandelt. Es war quasi eine freiwillige Sicherheitsmaßnahme.

Wie war es so, wochenlang nur in den eigenen vier Wänden? Spürt man da eine große Veränderung?

Naja, das Erste war einmal Putzen, Räumen und das Genießen, einmal nichts tun zu müssen – was wahrscheinlich die meisten gemacht haben. Ich habe zwischendurch auch viel gelesen und habe es nach 60 Jahren endlich geschafft, mehr in der Bibel zu lesen. Das hat mir persönlich Ruhe in dieser Krise gebracht, weil mir bewusst wurde, dass gewisse Sachen einfach außerhalb unserer Macht liegen.

Wie hat sich das “Einbunkern” auf eure Beziehung als Paar bzw. als Familie ausgewirkt?

In der Beziehung hat es sich schon sehr positiv entwickelt. Mein Mann betet nun jeden Abend mit mir zusammen, das hat es vorher noch nie gegeben. Da sind wir schon sehr zusammengewachsen. Andererseits sind wir auch auf Abstand gegangen: Im Garten hinter dem Haus hat er Platz für Motorräder – sein Hobby – und ich habe den Garten vorne mit den Blumen. Wir sind sozusagen gemeinsam und gleichzeitig getrennt. Unser Haus ist groß, uns geht es im Vergleich zu anderen gut. Ich darf nicht klagen. Auch gemeinschaftlich hat sich noch offenere Wertschätzung oder ein liebevollerer Zugang ergeben, weil man jetzt einfach weiß: Es ist im Leben nichts so selbstverständlich, wie man glaubt. Man sollte die Zeit miteinander so gut wie möglich verbringen. Es ist im Großen, glaube ich, so, dass einem diese Werte jetzt viel bewusster werden. Das Miteinander, die Achtsamkeit, die Rücksicht, die Dankbarkeit. Das sind Werte, die wieder mehr zum Vorschein kommen – und wünschenswerterweise bleiben würden.

Also hat die Pandemie sozusagen das „Immer mehr“, das Hedonistische unserer Gesellschaft gebremst?

Ja genau, dass man wirklich bewusst eine Umkehr macht und einfach das ganze Götzenhafte nicht so laufen lässt. Aber man sieht jetzt auch, was eigentlich eingeschränkt ist in dieser Zeit: Seien es die ganzen Sportevents, die Fitnessstudios oder die Schönheits-OPs – das ist alles nicht so wichtig. Man kann auch ohne all das leben. Aber Essen, Trinken, Gesundheit? Das ist halt alles viel wesentlicher, so sehe ich das.

18. April 2020