„Hätten wir noch Türkis-Blau, könnte alles ganz anders aussehen“

Von Sarah Emminger

Die Politikwissenschaftlerin Julia Partheymüller im Gespräch darüber, warum es populistische Parteien gerade besonders schwer haben und wie sich die Krise auf die Umsetzung des Regierungsprogramms auswirken könnte.

Julia Partheymüller hat in Mannheim und Berlin Sozial- und Politikwissenschaften studiert und arbeitet als Senior Scientist am “Center for Electoral Research” der Uni Wien. Ihr Hauptinteresse gilt Wahlen, politischer Kommunikation und Europa-Politik. Aktuell ist sie Teil eines interdisziplinären Forschungsteams, das im Rahmen einer Panelumfrage unter 1500 ÖsterreicherInnen regelmäßig neue Erkenntnisse zur Corona-Krise auf einemBlog veröffentlicht.

Frau Partheymüller, ist Türkis-Grün durch die Krise zu einer „Regierung für alle“ geworden?

Alle kann man nie erreichen. Ein breiter Teil der Bevölkerung unterstützt jedoch die Regierung, und die Parteipolitik ist in den Hintergrund getreten. Die Beurteilung der Regierung hängt jetzt stark von ihrem Krisenmanagement und nicht mehr von politischen Debatten und Streitereien ab.

Die Medien fokussieren sich auf die Regierungsmitglieder, die Opposition scheint gerade nicht wichtig zu sein. Wird sie auch in Zukunft keine große Rolle mehr spielen?

Die Opposition ist gerade in einer schwierigen Situation. Sie möchte einerseits sinnvolle Maßnahmen mittragen, andererseits soll sie die Regierung kontrollieren. Für die Oppositionsparteien ist es gut, dass die nächste Nationalratswahl weit weg ist. Natürlich haben wir im Herbst die Wien-Wahl, aber dort ist die SPÖ in der Regierung. Die hat bei vielen Maßnahmen mitgemacht und sich in einigen Bereichen, beispielsweise bei der Öffnung der Bundesgärten, stark für die Wiener eingesetzt. Das werden sie auch dementsprechend honorieren.

Welche Auswirkungen der Krise erwarten Sie sonst noch für kommende Wahlen?

Populistische Parteien haben es gerade am schwersten. Die FPÖ hat in Österreich verloren, genau wie die AfD in Deutschland. Dieser Trend ist auch in anderen Ländern erkennbar. Das liegt daran, dass ihr Hauptthema „Migration“ jetzt von der Agenda weg ist und die Grenzen aktuell sowieso zu sind. Ich würde erwarten, dass diese Parteien einen Dämpfer abbekommen. Corona wird uns bestimmt noch eine Weile beschäftigen und wenig Platz für andere Themen lassen.

Droht mittelfristig ein Mehr an Nationalismus?

Die Krise hat die EU in eine schwierige Situation gebracht und die rechten Parteien sind oft auch euroskeptische Parteien. Würde jetzt zum Beispiel Italien den Austritt erklären, sähe das auf europäischer Ebene nicht gut aus. Eigentlich wünschen sich die Süd-Europäer mehr Europa und einen stärkeren Zusammenhalt in der EU. Würden sie austreten, dann nur aus Protest in Situationen wie der jetzigen. Ursprünglich war auch eine baldige Konferenz für die Zukunft von Europa geplant, bei der man über die EU-Institutionen reden wollte. Durch Corona steht diese Thematik noch mehr im Raum. Mein Gefühl ist, dass die Leute aber wieder offene Grenzen wollen. Sie wollen verreisen und zur Normalität zurückkehren.  

Einige Beobachter sehen die Corona-Krise als Chance für autoritäre Regimes. Haben Sie Angst, dass sich der Krisenmodus festsetzt?

Hier in Österreich mache ich mir eigentlich keine Sorgen, weil die Regierung gar nicht danach greift. Sie versuchen, sinnvolle Entscheidungen zu treffen und stützen sich dabei auf Fakten. Seit die Zahlen runtergegangen sind, lassen sie wieder mehr Freiheiten zu. Man kann also keine autoritären Tendenzen erkennen. Und obwohl die Menschen der Regierung vertrauen, vertrauen sie ihr nicht blind. Einen Überwachungsstaat der asiatischen Art würden sie ablehnen. Alles, was über sinnvolle Maßnahmen zur Bekämpfung der Krise hinausgeht, wäre in Österreich nicht mehrheitsfähig.

Und in anderen Ländern?

Ja, man muss nur nach Ungarn schauen. Dort passieren erschreckende Dinge. Es waren schon vor Corona Tendenzen zum Rückbau der Demokratie und des Rechtsstaats da und die politischen Akteure nutzen die Krise, um das weiter zu forcieren. Dort, wo autoritäre Tendenzen eh schon daheim sind, kommt es also zu einer Verschärfung. In Österreich haben wir dieses Grundproblem nicht, zumindest nicht mit der aktuellen Regierung. Wenn wir Türkis-Blau noch hätten, könnte jetzt alles ganz anders aussehen.

Welche Pläne der Regierung, die im Wahlkampf eine große Rolle spielten, werden in der Zeit nach Corona unwichtig sein, weil der Staat sie sich nicht mehr leisten kann?

Über die ökosoziale Steuer wird man anders nachdenken. Man muss einen Weg finden, um das Krisengeld zu finanzieren. Bei der Öko-Steuer wollten sie ja eine aufkommensneutrale Form – manches sollte mehr und anderes weniger besteuert werden. Jetzt wird der Staat langfristig irgendwo Geld hereinholen müssen und „Sparen im System“ wird da nicht genug sein. Ich glaube, dass zumindest angekündigte Steuersenkungen nicht umgesetzt werden, weil dafür jetzt wenig Raum da ist.

Ist eine Millionärs- oder Erbschaftssteuer durch Corona wahrscheinlicher geworden?

Solche Steuern sind sehr umstritten. Die Grünen haben diesbezüglich schon die eine oder andere Andeutung gemacht. Das klang aber eher nach der guten alten Erbschaftssteuer, die immer mal zum Thema gemacht wird. Ich denke, das wird aber in absehbarer Zeit auf den Tisch kommen. Vielleicht handelt es sich auch nur um eine einmalige Abgabe zur Krisenfinanzierung und keine dauerhafte Steuer. Reiche Leute können einfach mehr beitragen und wo nichts zu holen ist, kann man eh nichts tun.

15. April 2020