Wohnen

Gemeinschaftliches Wohnen: Teilen statt besitzen

von Marie Miedl-Rissner

Die Bewohner*innen des KooWo und die Mitglieder des Vereins Living for Future haben sich bewusst gegen aktuelle Wohntrends und für mehr Gemeinschaft entschieden. Die Vision: Zusammen bauen und leben – mit geteilten Wohnflächen, aber dennoch mit privaten Rückzugsorten.

KooWo – Gemeinsam mit der Natur leben

Drei Wohnhäuser, 42 Erwachsene, 28 Kinder und eine Gemeinschaft. „Bringt ihr die Kinder heute zum Fußballtraining?”, ruft Sandra Gutschlhofer-Wedam einem anderen Bewohner zu. Mit einer Kiste Pfandflaschen unterm Arm steht sie auf dem Schotterweg im Hof des KooWo und tratscht mit einem Mitbewohner. Eine Gruppe an Kindern läuft barfuß quer über die Wiese Richtung Bach und zieht den Klang von Kinderlachen hinter sich her. Nach Zäunen sucht man hier, ganz nach dem Prinzip der Gemeinschaft, vergebens. Ein kleiner Hoftratsch, lachende Kinder und frei herumlaufende Tiere gehören hier im KooWo zum Alltag dazu.

Die alten Gemäuer des ehemaligen Bauernhofes sind heute fester Bestandteil des KooWo

Der generelle Wohntrend in Österreich bewegt sich weiterhin in Richtung kleinere Wohnungen für alleinstehende Personen. Wohnraum wird durch Immobilienspekulation immer teurer. Als Reaktion darauf entstehen immer mehr Wohnprojekte, die nicht auf maximale Anlegerrendite oder individualisierte Lebensstile, sondern auf Gemeinschaft setzen. Erst in Planung ist 1/10/100, ein Projekt des Vereins Living for Future, das günstigen Wohnraum in Wien schaffen möchte, der von Spekulation ausgenommen ist. Ähnliche Wohnprojekte, die bereits umgesetzt wurden, sind die autonome Wohnfabrik in Salzburg, das Cohousing Pomali in Wölbling und das Cambium in Fehring. Einige der Wohnprojekte gehören dem habiTaT, einem Kollektiv zur Unterstützung von selbstorganisierten und sozialen Wohnprojekten, an. Gemeinsam ist allen Projekten ihre Vision vom Leben in der Gemeinschaft und einer nachhaltigeren und besseren gesellschaftlichen Zukunft.

Zuhause für mehrere Generationen

Diese Ziele verfolgt auch das KooWo in Volkersdorf, das seit 2019 das Zuhause für 70 Personen ist. Die Idee dazu entstand in einer kleinen Gruppe rund um Werner Schwarz, den späteren Architekten und jetzigen Bewohner des KooWo. Generationenübergreifend und naturverbunden gemeinsam wohnen – so die Vision hinter dem Projekt. Die jüngste Bewohnerin im KooWo ist gerade einmal zwei Monate, der älteste Bewohner stolze 81 Jahre alt.

Das KooWo in Volkersdorf ist das Zuhause für 70 Personen

Den Rhythmus im Alltag der Familie rund um Sandra Gutschhofer-Wedam und Stefan Wedam gibt die Musik vor. Beide unterrichten an der Musikschule und haben die Leidenschaft für Instrumente und Gesang auch an ihre drei Kinder weitergegeben. Bevor die Familie ins KooWo gezogen ist, hat sie schon viele verschiedene Wohnformen ausprobiert. Sie haben auf einem abgelegenen Bergbauernhof in der Steiermark gelebt und sind als Musikerfamilie unter dem Namen „The Family Tones“ durch Europa und Australien getourt. Auf dieser Reise sind sie auch das erste Mal mit dem Konzept des gemeinschaftlichen Wohnens in Berührung gekommen. „Wir waren in den Niederlanden bei Freunden zu Besuch, die in einer Gemeinschaft gelebt haben. Dort war uns das aber alles etwas zu eng”, erzählt Stefan Wedam, der als Musiker bereits vier Kontinente bereist hat.

Stefan Wedam, Sandra Gutschlhofer mit ihren drei Kinder Lion, Adrian und Alma

Das Konzept des gemeinschaftlichen Wohnens hat die Familie aber nicht losgelassen. 2016 haben sie mit dem KooWo ihr neues zu Hause gefunden und selbst mitgeplant. „Das KooWo ist einfach ein Paradies für Kinder, sie können in der Früh allein hinauslaufen und finden immer jemanden, mit dem sie spielen können“, sagt Gutschlhofer-Wedam, die vor zwei Jahren hierher gezogen ist.

Gemeinsam diskutieren und entscheiden

Das Zusammenleben in einer Gruppe benötigt aber auch Regeln und Organisation. Die Bewohner*innen des KooWos nutzen dafür die Soziokratie. Dabei geht es nicht darum eine Mehrheit von einer Meinung zu überzeugen, sondern darum, so lange zu argumentieren, bis es keinen gröberen Einwand mehr gibt. Das Wichtigste in der Soziokratie sei laut Gutschlhofer-Wedam Zeit. Man müsse über Dinge diskutieren, um auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen.

So kann jedes Mitglied des KooWo selbst entscheiden, in welchen der vier Arbeitsgruppen („AGs”) – Gemeinschaft, Verwaltung, Struktur und Landwirtschaft – es sich einbringen möchte. Hier entscheiden die Bewohner*innen bei regelmäßigen Treffen etwa, welche neuen Geräte sie kaufen, aber auch welches Gemüse oder Obst sie anpflanzen möchten.   Gemeinschaftliche Anschaffungen können die Bewohner*innen allerdings erst tätigen, wenn sie genügend Geld zusammengetragen haben. „Natürlich hat jeder eine etwas andere Vorstellung vom gemeinsamen Zusammenleben, aber ich denke, das Wichtigste ist, dass man sich nicht an seinem Eigentum festklammert und bereit ist, zu teilen. Nur so kann das gemeinschaftliche Zusammenleben funktionieren“, sagt Wedam.

Bibliothek, Festsaal, Feuerstelle – Es gibt viele Orte um gemeinsam die Zeit zu verbringen.

Ressourcen sparen

Genau diese Art des Teilens leben die Bewohner*innen des KooWo auf vielfältige Weise. Begonnen bei gemeinschaftlich genutzten Autos über regionale Einkäufe bis hin zu einem Tauschraum für Kleidung und Alltagsgegenstände. “Wir verwenden den Tauschraum wie einen Einkaufsladen, man findet hier eigentlich fast alles, was man braucht”, erklärt Gutschlhofer-Wedam. Durch derartige Angebote möchten die Bewohner*innen ein weiteres Augenmerk auf Nachhaltigkeit und das Teilen legen und diese Werte auch ihren Kindern vorleben. 

Die meisten Familien haben bewusst keine eigene Waschmaschine. Dafür gibt es einen gemeinsamen Waschraum. Denn: Sie teilen auch technische Geräte, um sowohl finanzielle als auch ökologische Ressourcen zu sparen.  An einer Wand stehen mehrere Waschmaschinen, einige sind gerade in Verwendung, direkt neben der Tür stehen zwei weitere Waschmaschinen, die ihre besten Jahre bereits hinter sich haben. „Es gibt ein paar Tüftler im KooWo, die gerne an technischen Geräten schrauben und das auch können”, sagt Gutschelhofer-Wedam und zeigt auf die defekten Maschinen “Wir entsorgen sie erst, wenn gar nichts mehr geht. Es ist ein sehr schönes Gefühl zu wissen, dass man etwas bis zuletzt verwendet hat.“

"Wie kann gemeinschaftliches Wohnen einen Beitrag für eine bessere Zukunft leisten?"

Gemeinsames Lernen und Selbstverwirklichen

„So schön es ist, gemeinsam zu sein, jeder braucht auch einmal Zeit für sich, um zur Ruhe zu kommen“, so Wedam. Es sei aber auch gut zu wissen, dass man zwar allein sein kann, aber man niemals einsam ist. Auch wenn im KooWo vieles gemeinsam stattfindet, wird niemand dazu verpflichtet, sich ständig einzubringen. Und natürlich hat jede Familie eine eigene Wohnung, die einen privaten Rückzugsort bietet.

Durch die vielen verschiedenen Charaktere trifft aber auch eine Vielfalt an unterschiedlichen Interessen aufeinander. Von zwei Bewohner*innen, die in den Gemeinschaftsräumen Yogakurse anbieten über Handwerker*innen, die in der Holzwerkstatt die Späne rieseln lassen bis hin zu einer KooWo-Band, die für Stimmung und Unterhaltung sorgt – jede Person bringt ihre eigenen Hobbys mit in die Gemeinschaft. Gutschlhofer-Wedam sieht das als Bereicherung: „Ich kann meinen Kindern nicht zeigen, wie man einen Tisch baut, aber jemand anderer in der Gemeinschaft kann es. Ich kann dafür den Kindern einer anderen Familie Musikunterricht geben.“

Die Holzwerkstatt und der Musikraum sind eine große Bereicherung für die Gemeinschaft

KooWo möchte aber nicht nur nach innen gemeinschaftlich, nachhaltig und bewusst leben, sondern diese Werte auch in die Gesellschaft tragen. „Wir haben alle Jobs, unsere Kinder gehen in die verschiedensten Schulen und so trägt jeder seinen Fußabdruck nach außen“, so Wedam. Das möchten die Bewohner*innen auch über die Landwirtschaft erreichen. In erster Linie möchten sie es schaffen, sich mit Gemüse und Obst selbst zu versorgen. In weiterer Folge steht es aber durchaus im Raum, eine Solidarische Landwirtschaft zu gründen. Das KooWo würde dann nicht nur Obst und Gemüse für die Bewohner*innen produzieren, sondern auch Personen außerhalb der Gemeinschaft versorgen. Beim Konzept der Solidarischen Landwirtschaft zahlen die Konsument*innen einen monatlichen Fixbetrag und tragen die Verantwortung für die Landwirtschaft mit.

"Was würdet ihr euch für die Zukunft der Gesellschaft wünschen?"

Living for Future 1/10/100

Derzeit ist es noch eine leerstehende Wiese in Wien Penzing. Rundherum stehen mehrstöckige Wohnbauten, die das Bild der Umgebung prägen. Nur auf dem schmalen Grundstück leuchten verwilderte Pflanzen und hohes Gras in einem satten Grün. Eingerahmt wird das Grundstück von Bäumen, die den Blick auf die dahinterliegenden Gebäude verwehren. Dies wird sich jedoch bald ändern. Ab 2024 soll genau diese Wiese Platz für zirka elf Wohneinheiten des Vereins Living for Future schaffen.

Derzeit ist es noch eine leere Wiese…

…die Pläne für die neuen Wohnhäuser stehen aber bereits

1/10/100 nennt sich das Projekt, das Wiener Kreative erfunden haben, um unabhängigen und leistbaren Wohnraum in Wien zu schaffen. 1/10/100 deshalb, weil das Projekt langfristige Zukunftsvisionen verfolgt. Die Zahlen stehen dabei für die Ziele, die die Organisator*innen in einem Jahr, zehn beziehungsweise 100 Jahren erreichen wollen – jahreszeitenangepasstes Wohnen, veränderbaren Wohnraum und langjährige Perspektive. „Die Besonderheit des Projektes ist, dass wir eine sehr kleine Baugruppe sind und auch auf einem sehr kleinen Grundstück bauen werden“, erklärt Filmemacherin Lotte Schreiber. Die Personen, die derzeit die Baugruppe bilden und von Beginn an das Projekt leiten, werden später auch Bewohner*innen des Hauses sein.

Neben dem gemeinsamen Wohnen spielen aber auch Kreativität und Nachbarschaft eine große Rolle. Der Verein Living for Future möchte mit einem Generationencafé und einem Raum für künstlerische Aufführungen seine Visionen und Werte nach außen tragen. Das Ziel ist es, einen Beitrag für eine bessere Zukunft und ein besseres Miteinander zu leisten.

Mit einer kleinen Baugruppe Großes erreichen, das ist das Ziel der Mitglieder des Vereins Living for Future

Unabhängig wohnen

Entstanden ist das Projekt, das derzeit noch in seinen Kinderschuhen steckt, aus einer Unzufriedenheit der Beteiligten mit dem derzeitigen Wohnungsmarkt: „Wir möchten uns unabhängig machen von Vermietern und Besitzern und als Gruppe eine alternative Wohnform gründen, um damit langfristig leistbaren und gemeinsamen Wohnraum in Wien schaffen“, so Architekt Fabian Puttinger, der sich aktiv an der Planung des nachhaltigen Lebensraumes beteiligt.

Dieses Unabhängigmachen spiegelt sich auch in der Finanzierung wider. Das Projekt soll sich zwar teilweise über einen Bankkredit finanzieren, aber zum Großteil auch aus einer Kombination aus Wohnbauförderung und privaten Direktkrediten. Dies bedeutet, dass sich das Projekt zu einem Teil durch private Geldgeber finanzieren wird, die ihr Vermögen in dem Projekt anlegen möchten. Die Zinsen für die Direktkredite liegen mit null bis 1,5 Prozent deutlich niedriger als bei einem Bankdarlehen. Das Haus gehört dabei zu annähernd gleichen Teilen dem Verein Living for Future und dem Dachverband habiTaT. Auch die Stadt Wien ist an dem Projekt beteiligt: Das Grundstück, auf dem der neue Wohnraum entsteht, gehört der Stadt.

Gemeinsam klimafreundlich leben

Neben der Gemeinschaft ist das Aushängeschild des Projektes jedoch die besondere Art der architektonischen Planung. Das Haus soll sich nach seiner Fertigstellung an die Jahreszeiten anpassen und so mehr oder weniger Wohnraum bieten. „Das Haus ist unterteilt in sogenannte Klimaschichten, die im Sommer etwa durch einen unbeheizten Wintergarten zusätzlichen Wohnraum nutzbar machen“, so Architektin Laura Schmidt-Colinet. Aber nicht nur in der Bauweise spielt Energieeffizienz eine Rolle, auch in der späteren Lebensweise soll Nachhaltigkeit gelebt werden.

So werden die Wohnhäuser einmal aussehen

Auch das Projekt 1/10/100 wird von Beginn an über die Soziokratie und verschiedene Arbeitskreise organisiert. „Wir treffen Entscheidungen auf Grundlage des Konsent und nicht des Konsens. Das bedeutet, dass nicht alle mit einer Entscheidung zu 100 Prozent zufrieden sein müssen, aber es darf keine gröberen Einwände geben“, so Puttinger. Die größte Herausforderung: „Gemeinsames Entscheiden braucht Zeit“, erklärt Schreiber.

So unterschiedlich die verschiedenen Wohnprojekte auch sind, die Visionen und Ziele sind die gleichen. Die Bewohner*innen versuchen durch das Leben in einer Gemeinschaft mit einem guten Beispiel voranzugehen und mit Nachhaltigkeit, Solidarität und Zusammenhalt ihren Beitrag für eine lebenswerte Zukunft zu leisten.

Fotos: Marie Miedl-Rissner (Titelbild, 1-8), schmidt-colinet schmoeger (10, 12), Living for Future (9,11)