Ernähren

Solidarische Landwirtschaft:
Guter Boden für nachhaltiges Wirtschaften

von Julia Schuster und Lukas Lorber

Der Jaklhof in Kainbach bei Graz und das Paradieschen in Hatzendorf sehen die Zukunft der Landwirtschaft in der Solidarität. Sie setzen auf eine Alternative zur konventionellen Landwirtschaft, in der die Gemeinschaft im Fokus steht – die solidarische Landwirtschaft.

Stell dir vor, kleinbäuerliche Betriebe produzieren biologische Lebensmittel und werden dafür fair bezahlt. Stell dir vor, klein strukturierte Landwirtschaften bauen ohne marktwirtschaftlichen Druck Gemüse oder Obst an und können zudem Lebensmittelabfälle vermeiden. Stell dir vor, Konsument*innen erkennen wieder den Wert von hochqualitativen Lebensmitteln und werden in die Prozesse eines Bauernhofes integriert?

Was wie eine Utopie klingt, ist in Solidarischen Landwirtschaften Wirklichkeit. 2011 entstand in Österreich die Initiative “Gemeinsam Landwirtschaften Ochsenherz”, die als eine der ersten den Begriff der Solidarischen Landwirtschaft (SOLAWI) verwendete. Mittlerweile wirtschaften rund 50 Betriebe in Österreich nach diesem Konzept – darunter eben auch der Jaklhof in Kainbach bei Graz oder das Paradieschen in Hatzendorf, das ebenfalls schon einmal SOLAWI-Luft geschnuppert hat.

Der Jaklhof in Kainbach bei Graz

Die Sonne steht hoch am Himmel und heizt den Asphalt auf. Ein sanfter Wind weht, die Blätter rascheln. Ernteanteilnehmer*innen trudeln ein, Mitarbeiter*innen laufen in schnellen Schritten über den Hof. Frisches Gemüse und Obst, gepackt in Holzkisten, stehen zur Abholung bereit. Es ist Montag, kurz nach Mittag, und einer der beiden Hauptverteiltage am Jaklhof.

Gemüse und Obst als Gemeingut

„Am Montag in der Früh entscheide ich, was und wie viel in die Ernteanteile kommt, dann packen meine Mitarbeiter die Kisten und machen sie abholbereit”, erzählt Anna Ambrosch, die Betreiberin des Jaklhofs. Ambrosch führt den Hof seit 1993 als Bio-Betrieb, seit 2015 wirtschaftet sie gemeinsam mit ihrer Mutter, ihrer Tochter und ihrem rund zwölf-köpfigen Team solidarisch. 

Dabei ist es Anna wichtig, Gemüse und Obst als Gemeingut und nicht als Ware zu sehen: „Diese Lebensmittel sind für mich mehr als nur etwas zum Essen. Wir könnten alle nicht atmen, wenn wir keine Pflanzen hätten. Das ist den wenigsten bewusst.”

Wie wertvoll Obst und Gemüse von einer Solidarischen Landwirtschaft sind, wissen die Ernteanteilnehmer*innen vom Jaklhof. Sie verpflichten sich für ein ganzes Jahr, Teil der Gemeinschaft zu sein. Gegen einen finanziellen Beitrag, der jeweils am Monatsbeginn zu bezahlen ist, bekommen die Anteilnehmer*innen wöchentlich von Februar bis Dezember eine Kiste mit saisonalem Bio-Gemüse und -Obst.

Solidarität im Vordergrund

„Für mich sind die Ernteanteilnehmer keine Kunden, ich kenne zumindest das Gesicht von allen”, so Ambrosch. 30 der 175 Anteilnehmer*innen sind auch regelmäßig am Hof und helfen freiwillig mit. Darum geht es beim Konzept der Solidarischen Landwirtschaft – dass Konsument*innen auch in Krisenzeiten gemeinsam mit den Bäuer*innen an einem Strang ziehen und wieder einen Bezug zu den Lebensmitteln herstellen. 

Anna startet den kleinen Traktor an. Vorne ist ein Häufelpflug, hinten eine Kippmulde montiert. Damit fährt sie einen schmalen Weg am Waldrand entlang zu den Feldern, die sich in Hanglage befinden. Das Gelände ist unwegsam, Anna schüttelt es am Fahrersitz hin und her.




„Wir arbeiten auf einem schwierigen Boden, es gibt viele Steine in der Erde und die Felder sind alle am Hang. Wir hätten am normalen Bauernmarkt keine Zukunft, weil auch dort die meisten Leute nur zu schönen Lebensmitteln greifen.”
Anna Ambrosch
Landwirtin

Für Anna ist eine Solidarische Landwirtschaft die einzige Möglichkeit, um zukunftsfähig Gemüse und Obst anzubauen und zu verkaufen. Am Feld angekommen erzählt sie: „Wir arbeiten auf einem schwierigen Boden, es gibt viele Steine in der Erde und die Felder sind alle am Hang. Wir hätten am normalen Bauernmarkt keine Zukunft, weil auch dort die meisten Leute nur zu schönen Lebensmitteln greifen.”

Eindrücke vom Jaklhof

Nicht perfekt, aber hohe Qualität

Anna bückt sich und holt den Rettich aus der Erde. Sie bindet jeweils fünf Stück zusammen und legt sie in eine Kiste. Der eine Rettich ist klein und dick, der andere etwas größer und länger. „Es gibt verkrüppelte Karotten, nicht nur gerade Gurken, aufgesprungene Fleischparadeiser – es ist nicht immer alles schön, auch wenn es inhaltlich hochqualitativ ist.” Dieses nicht perfekte Obst und Gemüse findet man auch in den Ernteanteilen. Ambrosch hebt die Kiste mit dem frisch geernteten Rettich hoch und blickt über den Hang ins Tal. Sie beginnt zu erzählen: „Für uns ist der größte Gewinn, dass wir fast keinen Abfall mehr haben. Es wird akzeptiert, dass nicht alles perfekt aussieht.”

Vorteil für kleinbäuerliche Betriebe

Mit dem Konzept der SOLAWI beschäftigt sich auch das Regional Center of Expertise on Education for Sustainable Development (RCE Graz-Styria). Andreas Exner ist der operative Leiter des Zentrums für nachhaltige Gesellschaftstransformation und sieht in der SOLAWI vor allem für kleinstrukturierte Höfe einen Vorteil: „Der Anlass für dieses Modell der Landwirtschaft ist, kleinbäuerliche Betriebe zu unterstützen, die es ansonsten aufgrund der Marktkonkurrenz schwer hätten.” Für Exner ist die Solidarische Landwirtschaft deshalb ein Konzept, das für bestimmte Betriebe und Konsumierende sehr attraktiv sein kann. Neben dem Gemeinschaftsaspekt spiele zudem die Demokratie eine wichtige Rolle beim Führen einer SOLAWI: „Um Solidarität üben zu können, braucht es demokratische Umgangsformen, damit die Beteiligten ihre Bedürfnisse artikulieren können.” Nur so könne eine SOLAWI, in der auf Augenhöhe kommuniziert wird, funktionieren.

Das Paradieschen in Hatzendorf

Kristel Junesch steht auf einem sanften Hügel, das Gras geht ihr bis zu den Knien und kitzelt ihre nackten Beine. Sie lässt ihren Blick über die Felder schweifen. „Wir haben den Platz über willhaben gefunden und ihn gleich einen Tag nach der Besichtigung gekauft”, erzählt Kristel und lächelt dabei verschmitzt.

Seit rund sechs Jahren betreiben Kristel Junesch und Patrick Paler den Hof, von 2016 bis 2019 haben sie nach dem Konzept der Solidarischen Landwirtschaft gearbeitet und gelebt.  In ihrem letzten Jahr als SOLAWI zählte das Paradieschen rund 65 Anteilnehmer*innen, es belieferte auch die Lebensgemeinschaft Cambium in Fehring. Momentan können Kristel und Patrick aus gesundheitlichen Gründen nicht nach dem Modell wirtschaften. Als Patrick erkrankte, mussten sie für seine Tätigkeiten drei Mitarbeiter*innen einstellen. Um von der Solidarischen Landwirtschaft leben zu können, hätte jede*r Anteilnehmer*in monatlich rund 50 Euro mehr beitragen müssen. „Da steigen viele aus”, sagt Kristel. Außerdem halfen nur manche Familien am Feld mit und ein Teil der Konsument*innen war lediglich an den Produkten interessiert.

Dass das Führen einer Solidarischen Landwirtschaft anspruchsvoll sein kann, beteuert auch Andreas Exner. Er bezweifelt, dass die Solidarische Landwirtschaft ein Modell mit Breitenwirksamkeit ist: „Die Produzierenden sowie Konsumierenden müssen eine soziale Einstellung mitbringen und viele Konsumierende erwarten sich Feste oder Rezepte – solchen Dienstleistungen können nicht alle Betriebe nachkommen.” Er beschreibt das Konzept der SOLAWI aber als Schritt in die richtige Richtung. Anhand von SOLAWIS können Erfahrungen gesammelt und Kompetenzen aufgebaut werden, um alternative Formen der Landwirtschaft weiter voranzutreiben.

Neustart für ihr Herzensprojekt

Kristel und Patrick sind nach wie vor vom Konzept der Solidarischen Landwirtschaft überzeugt, denn „für uns war es eine Win-win-Situation, es gab weniger Vermarktungsstress.” Dennoch würden sie in Zukunft aber mit einem anderen Preis und einem Team arbeiten wollen, das sie in organisatorischen Belangen unterstützt. Die Mission bliebe aber dieselbe.

„Ich möchte Kulturwirtschaft mit der geringsten Zerstörung für Mutter Erde betreiben”, sagt Kristel. Der dreifachen Mutter ist die Umwelt sehr wichtig. Sie beschreibt ihre Tätigkeit im Obst- und Gemüsebau nicht als „Produktion”, sondern als „Erhalt von Leben” – und den Bauernhof als „Herzensprojekt”.

 

Ob rund 14 Hektar Gesamtfläche oder fünf, 175 Ernteanteilnehmer*innen oder 65, ein zwölfköpfiges oder ein eingespieltes Zweierteam: „Eine Solidarische Landwirtschaft ist so individuell wie die Familie, die sie führt”, so Kristel Junesch. Dennoch gibt es laut Exner ein gemeinsames Ziel unter SOLAWIS: „Was alle Solidarischen Landwirtschaftsinitiativen miteinander verbindet, ist das Streben nach sozialer Gerechtigkeit.”

 

Eindrücke vom Paradieschen

Videoreportage über die Solidarischen Landwirtschaften

Infobox

Im Zuge einer Solidarischen Landwirtschaft schließen sich Bäuer*innen mit Konsument*innen zusammen und meistern gemeinsam ökologische, finanzielle, gesellschaftliche oder landwirtschaftliche Herausforderungen. Sie teilen sich die Verantwortung sowie die Vorzüge einer gemeinschaftsgetragenen Landwirtschaft.

Die Mitglieder einer Solidarischen Landwirtschaft sollen Zugang zu frischen, saisonalen, regionalen, biologischen und vor allem gesunden Produkten haben. Dafür bezahlen die Ernteanteilnehmer*innen einen monatlichen Fixbetrag, welcher den Bäuer*innen Planungssicherheit ermöglicht.

Eine Anlaufstelle für am SOLAWI-Konzept interessierte Bäuer*innen und Konsument*innen ist SoLaWi Leben, der Zusammenschluss Solidarischer Landwirtschaften in Österreich.