Lernen

Ein weiter Weg für das Klima

von Sarah Kowatschek und Anna Papst

Von Juli bis September gingen die “Wanderers of Changing Worlds” quer durch Österreich, um mit den Menschen vor Ort über ihre Erfahrungen mit dem Klimawandel zu sprechen und daraus zu lernen. Das Magazin zum Markt der Zukunft begleitete sie an den letzten drei Tagen vom Neusiedler See bis nach Wien. 

Die Karten liegen auf dem Tisch. Cleo sammelt sie auf und beginnt zu mischen. “We are now going to play a game. The only rule is not to talk about the rules”, erklärt sie auf Englisch, damit auch die, die kein Deutsch sprechen, sie verstehen. In der schwach beleuchteten Strandbar im Seebad Breitenbrunn am Neusiedler See lernen die Wanderers of Changing Worlds also ein neues Kartenspiel vor dem Endspurt nach Wien. Als die Augenlider schwer werden und immer öfter gegähnt wird, holt Anna, die zum Kernteam der Wanderers gehört, den Laptop aus dem Rucksack. Gestern hatten die Wanderers nach einer 40 Kilometer langen Etappe keine Energie mehr, das tägliche Protokoll zu verfassen. Daher ist es heute umso wichtiger, das Erlebte und Gefühlte festzuhalten. Im Dunklen betrachten die Klimaaktivist*innen die Sterne, während jede*r berichtet, wie er oder sie den Tag erlebt hat. Ein Gefühl der Gemeinschaft wächst, je mehr Leute sich öffnen und ihre Sorgen und Freuden teilen. “Zuerst war ich nervös, weil ich den Generation Walk gestaltet habe. Außerdem fand ich, dass wir heute fast zu viele Programmpunkte für einen Break Day hatten. Man hatte kaum Zeit, sich zu entspannen”, meint Miriam, die bereits mehr als fünf Wochen mitgegangen ist.

Der Climate Walk

“Lange dachte ich, dass ich heuer im Sommer drei Wochen durch Norwegen wandern werde”, sagt Norina, die im Climate-Walk-Team engagiert ist. Ganz am Anfang stand das Ziel, ab Sommer 2021 vom Nordkap in Norwegen quer durch Europa bis zum westlichsten Punkt des Kontinents, dem Cabo de Roca in Portugal zu wandern. Die Wanderers of Changing Worlds wollen auf dieser Reise mit den Menschen in den verschiedensten Orten Europas über ihre Erfahrungen mit dem Klimawandel sprechen und sich selbst ein Bild vor Ort machen. Es geht darum, regionale Erfahrungen einzuholen, daraus zu lernen und aus den unterschiedlichen Geschichten ein Verständnis für den Klimawandel zu schaffen. Da der Europa-Walk aufgrund der Covid-19-Pandemie auf das Jahr 2022 verschoben werden musste, stellte das Team in wenigen Monaten den “Geh´-ma-Austria-Walk” auf die Beine. Von 3. Juli bis 7. September wandert das Team zusammen mit Mitgeher*innen und Projektpartner*innen von Dornbirn quer durch alle neun Bundesländer bis nach Wien. Der Austria-Walk dient sozusagen als Probelauf für die große Wanderung im nächsten Jahr.

Wiesen, Wald, Asphalt - von 3. Juli bis 7. September gingen die Wanderers durch ganz Österreich. Foto: Anna Papst

Beide Walks bauen auf den drei Ebenen des Projekts auf: Forschung, Bildung sowie Medien und Kunst. In der Forschungsfrage geht es darum zu erheben, wie die Menschen in Europa die veränderten Klimabedingungen wahrnehmen. Durch Gespräche, Interviews und Fragebögen am Weg sammeln die Klimaaktivist*innen Daten und werten diese wissenschaftlich aus. 

Auf Ebene der Bildung wollen die Wanderers am Weg Workshops abhalten, Kooperationen mit lokalen Organisationen eingehen und so einen Wissensaustausch ermöglichen. Für den Austria-Walk suchten sich die Wanderer die Themen Wasser, Bodenversiegelung, Biodiversitätsverlust, Borkenkäfer, Ernährung und Tourismus aus.

Um das Thema Wasser ging es auch an diesem Tag, der mit Kartenspiel und Reflexion in der Strandbar von Breitenbrunn endete. Eine Mitarbeiterin des Naturschutzbundes Burgenland hatte am Schilflehrpfad in Breitenbrunn die Bedeutung von Wasser am Neusiedlersee erklärt und welche Auswirkungen der Klimawandel auf die Region haben könnte. Neben den Wanderers und ihren Mitgeher*innen nahm an diesem Tag auch die Lebenshilfe Österreich, eine der zahlreichen Partnerorganisationen des Climate Walks, am Programm teil. Nach dem Vortrag des Naturschutzbundes veranstaltete das Team einen Generation Walk. Die Mitgeher*innen bildeten kleine Gruppen mit Menschen einer anderen Altersgruppe. Durch die Denkanstöße zum Thema Wasser, die Miriam vorbereitet hatte, kam so ein interessanter Austausch zwischen Fremden zustande.

Nach dem Generation Walk reflektiert die Gruppe ihre Ergebnisse. Foto: Climate Walk

Bei “Medien und Kunst” geht es den Wanderers darum, die erlebten Geschichten zu erzählen und möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Durch Soziale Medien, Podcasts und einer vierteiligen Serie auf OktoTV sollen viele Menschen auf das Projekt aufmerksam gemacht werden. 

Gemeinsam eine Lösung finden

Früh am nächsten Tag gehen die Wanderers auf einem Feldweg zwischen Burgenland und Niederösterreich. Noch ist man mitten in der vom Menschen geschaffenen Natur; Felder und Waldstücke wechseln sich ab, Zitronenfalter flattern mit der Gruppe Richtung Wien. “Durch das Gehen nimmt man die Umgebung viel bewusster wahr, man spürt die Landschaft mehr, wenn man sie durchwandert und das Gehen macht auch etwas mit einem selbst, man spürt mehr in sich hinein,” sagt Cleo, die Social Media-Beauftragte der Wanderers.

Plötzlich kommt die Gruppe zu einem abrupten Stillstand, als Norina von hinten ruft, dass sich ihre Sohlen von den Schuhen lösen. Was tun, mitten im Leithagebirge, ohne einen Schuster in Reichweite? Reinhilde, eine  erfahrene Wanderin und Aktivistin, die die Gruppe schon zum zweiten Mal begleitet, hat eine Lösung: Die Sohle muss festgezurrt werden, am besten mit einem Rucksackriemen. Also löst Merlin einen solchen Spannriemen von seinem Rucksack und gibt ihn Norina. “Das Problem eines Gruppenmitglieds ist gleichzeitig auch ein Problem der gesamten Gruppe”, sagt Reinhilde, “Da kann man nicht einfach sagen, das ist nicht mein Problem, da muss er oder sie schon selber eine Lösung finden.” So sei es auch beim Klimawandel. Wenn die polaren Eiskappen schmelzen, berührt das in Europa die wenigsten, aber es ist trotzdem ein Problem für die ganze Welt. “Nur wenn alle zusammenhalten und -helfen kann der Klimawandel bekämpft werden”, fasst Reinhilde zusammen.

Nach diesem Zwischenfall geht es rasch weiter, der Weg bis zum Tagesziel ist noch lang. 28 Kilometer will das Team heute gehen. Das heißt gleichzeitig viel Zeit, um nachzudenken und mit den Mitgeher*innen zu reden und sie besser kennenzulernen. “Beim Climate Walk hat mir unter anderem gefallen, dass er zwar einerseits aktivistisch ist, es andererseits aber darum geht, auf die Details zu achten. Der Punkt ist nicht, hohe Forderungen an die Politik zu stellen, sondern darauf zu hören, was von ‘unten’ direkt von den Menschen kommt”, sagt Anna, die Geografie studiert und Teile der Route geplant hat. “Dazu kommt, wie gut das Team funktioniert und wie schnell man sich wohl fühlt. Ich kann immer sagen, was ich denke und habe das Gefühl, als würde die Stimme von jedem wirklich zählen.” Auch die anderen Teammitglieder teilen diese Ansicht.

Erfahrungen teilen

Zeit für die Mittagspause. Neben der Leitha lassen die Wanderers ihre Rucksäcke fallen und packen das Essen aus. Brot, Käse, Aufstriche, Gemüse und Mannerschnitten werden in die Mitte gelegt und gemeinsam vorbereitet. Jede*r kann nehmen, wonach es ihm oder ihr beliebt.

Neben der Leitha genießen die Wanderers ihr Mittagessen. Foto: Sarah Kowatschek

Diejenigen, die schon länger mitgehen, erinnern sich an ihre Erlebnisse während des Walks zurück. Die schlimmste Erfahrung war eine lange Etappe in den Bergen Tirols, bei der sie sich verlaufen hatten und dann auch noch ein Unwetter aufzog. Auf der anderen Seite gab es natürlich auch zahlreiche schöne Momente. “Es ist einfach das Schönste, wenn man erschöpft, aber glücklich am Gipfel ankommt, ins Tal schaut und sich eine Gurke teilt”, meint Cleo.

Die schönen Momente: Gemeinsam den Berggipfel erreichen. Foto: Climate Walk

Während der letzten Etappen verlaufen viele Gespräche auf Englisch, weil auch eine Tschechin, Helena, mitgeht. Sie studiert Sozialanthropologie und ist durch ihre Masterarbeit auf das Projekt aufmerksam geworden. Für diese will sie ein ähnliches Projekt in der Gegend rund um Karlovy Vary in der Tschechischen Republik starten. Sie ist eine von mehreren Nicht-Österreicher*innen, die den Austria-Walk begleitete. “Wir waren sehr überrascht, als sich auch Leute aus anderen Nationen für den Walk in Österreich angemeldet haben”, meint Merlin, der für die Planung von Events rund um den Climate Walk zuständig ist. So ist die Hoffnung groß, dass sich auch für den Europa-Walk Menschen aus anderen Regionen des Kontinents begeistern und dadurch den Blickwinkel auf den Klimawandel noch vergrößern.

“Wos ma net gonga is, hot ma net gseng!”

Der letzte Tag, Etappe 67. “Nach über 1000 Kilometern quer durch Österreich sind wir endlich in Wien angekommen und möchten die letzten drei Kilometer gemeinsam mit euch bis zur Votivkirche gehen”, verkündet Miriam am Beginn der Demonstration am Schwarzenbergplatz, die das Ende des “Geh’-ma-Austria-Walks” einläutet. Gemeinsam wollen die Wanderers of Changing Worlds das Wandern ab hier in ein demonstratives Gehen übergehen lassen. Die letzten Kilometer in Wien waren lang, nur Asphaltstraßen, mit dem Rucksack durch die Großstadt. Die Füße schmerzen, aber die Erleichterung und Freude, nach über zwei Monaten bald am Ziel zu sein, ist ihnen allen ins Gesicht geschrieben.

Am Schwarzenbergplatz angekommen, setzen sich die Wanderers erst einmal hin und ziehen ihre Schuhe aus. Foto: Sarah Kowatschek

Merlin hängt sich eine Musikbox um und begleitet den Marsch. Cleo und Miriam übernehmen das Banner mit der Aufschrift “Wos ma net gonga is, hot ma net gseng!”, während Reinhilde die Flagge der Wanderers in die Luft hält. Hinter ihnen ziehen alle, die gekommen sind, den Ring entlang bis zur Votivkirche. Das Gefühl der Gemeinschaft, das die Wanderers durch ganz Österreich geführt hat, kommt auch während der Abschlussdemonstration wieder auf.

Kurz vor dem Ziel: Die gemeinsame Demonstration zur Votivkirche. Foto: Sarah Kowatschek
Infobox:

Der Climate Walk ist ein Projekt der Wanderers of Changing Worlds. Im Sommer 2021 gingen sie quer durch Österreich, um mit den Menschen vor Ort über ihre Erfahrungen und Erlebnisse mit dem Klimawandel zu sprechen – als eine Art Vorbereitung, um ab Sommer 2022 etwa eineinhalb Jahre quer durch Europa zu wandern. 

Am Markt der Zukunft können Sie die Wanderers treffen und sich ihren Vortrag anhören:

Wanderers of Changing Worlds: Wandern für den Wandel. Ein Erfahrungsbericht vom Climate Walk 2021
Alte Universität, Samstag, 2. Oktober 13:40 Uhr.

Climate Walk – Route

Das Padlet zeigt die Route der Wanderers of Walking Change quer durch Österreich – noch ist es nicht ganz fertig und wird laufend erweitert. Für mehr Infos einfach auf die Karte klicken!

Credits: Climate Walk