von Vilja Schiretz
Ob Corona oder Klimakrise: Wenn Menschen den Sinn hinter Maßnahmen verstehen, seien sie eher bereit, diese zu befolgen, sagte Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb im Markt der Zukunft Magazin 2020 [MDZ 2020, S. 6]. Nimmt Bildung also eine Schlüsselfunktion in der Bekämpfung der Klimakrise ein? Können wir Nachhaltigkeit lernen? Atmosphärenphysikerin Rosmarie de Wit, Klimaforscher Andreas Gobiet und Nachhaltigkeitsaktivistin Beatrix Altendorfer teilen ihre Beobachtungen.
Helga Kromp-Kolb hat im Vorjahr gesagt: “Je verständlicher eine Maßnahme, desto eher wird sie befolgt.” Was bedeutet das für das Handeln gegen den Klimawandel?
De Wit: Die Corona-Regeln sind einfach kommuniziert worden: Hände waschen, Maske tragen, Abstand halten. Es ist leicht, diese sehr konkreten Maßnahmen zu übernehmen. Wenn man aber nur weiß, dass der Klimawandel von Treibhausgasen verursacht wird, fehlt diese Übersetzung: Was bedeutet das konkret für mich, wie soll ich mich verhalten?
Gobiet: Im Zusammenhang mit Corona fallen mir auch die wahnsinnig vielen Informationen ein, die herumschwirren. Für jede noch so abstruse Verschwörungstheorie gibt es im Internet die besten Belege. Mit dem Klimawandel haben wir dasselbe beobachtet. Wir müssen den jungen Menschen also ein Werkzeug mitgeben, damit sie sich hier zurechtfinden. Sie brauchen ein bestimmtes Basiswissen und ein Gefühl dafür, wie sie ihre Quellen richtig aussuchen. Das hat eher mit Medienkompetenz zu tun als mit dem Klimathema.
Wie sehr kann Wissen und Bildung also dazu beitragen, dass Menschen nachhaltiger handeln?
Gobiet: Aus wissenschaftlicher Sicht ist seit mindestens 20 Jahren klar, was mit dem menschengemachten Klimawandel ungefähr auf uns zukommt. Es ist bemerkenswert, wie lange diese Informationen ignoriert oder sogar aktiv bekämpft wurden. In der Politik war immer ein anderes Argument stärker als der Klimaschutz. In den letzten vielleicht fünf Jahren hat sich das geändert. Der Knackpunkt war aus meiner Sicht aber kein wissenschaftlicher, sondern der Hype um Greta Thunberg. Da ist das Thema plötzlich in der Gesellschaft angekommen, jetzt wird über Maßnahmen nachgedacht. Handeln erzeugt man also offensichtlich nicht durch reines Wissen, da gehört mehr dazu.
Altendorfer: Man muss die Emotion ansprechen und das Gefühl geben, dass jeder einzelne sehr wohl eine Rolle spielt. Mir ist es in meiner Arbeit besonders wichtig, das Engagement in den Menschen zu wecken. Wenn du die Krise einmal wahrgenommen hast und dich das Thema emotional berührt hat, wirst du dich auch weiterbilden.
Wissenschaft möchte normalerweise Fakten vermitteln, keine Emotionen. Wie lässt sich das vereinbaren?
Gobiet: Die Wissenschaft muss nach wie vor möglichst emotionslos bleiben, sonst geht ihre Autorität flöten. Die Ergebnisse müssen faktenbasiert und nicht von Erwartungen oder Wunschvorstellungen geprägt sein. Ich glaube, es ist sehr wichtig, diesen Grundsatz zu verteidigen. Auf der anderen Seite muss das Feld der Wissenschaftskommunikation stark wachsen. Es muss nicht jeder Wissenschaftler ein Kommunikationsprofi werden, aber es muss Leute geben, die diese letzte Meile von der Wissenschaft zur Gesellschaft mit Kommunikation überbrücken.
De Wit: Wissenschaftler können Fakten zum Klimawandel vermitteln und gleichzeitig Emotionen auslösen, indem sie sagen, wie mich das hier vor Ort persönlich betrifft. Zum Beispiel in der Landwirtschaft: Die Trockenheit nimmt zu, obwohl sich die Niederschläge über das Jahr verteilt nicht wirklich ändern. Wenn es sehr warm ist, verdunstet mehr Wasser und wird dem Boden entzogen. Als Landwirt muss ich vielleicht schauen, was ich in Zukunft anbauen kann, was klimaresilient ist. Dann kommt das Thema plötzlich nah zu mir.
Ein Tornado in Tschechien, schwere Überflutungen in Deutschland: Haben diese extremen Wetterereignisse nahe Österreich solche Emotionen ausgelöst und für mehr Bewusstsein gesorgt?
De Wit: Bei manchen hat das sicher etwas ausgelöst. Bei diesen Einzelereignissen lässt sich nicht beweisen, welches Unwetter genau durch den Klimawandel verursacht wurde. Was wir aber schon seit Jahren vorhersagen, ist, dass solche Ereignisse aufgrund des Klimawandels häufiger passieren werden. Aber das waren Ereignisse, die nah an Österreich herangekommen sind und Österreich teilweise auch direkt getroffen haben.
Altendorfer: Ich glaube, in den betroffenen Gebieten wird das Bewusstsein anhalten. Ansonsten wird es wieder verpuffen, wenn man hier nicht dranbleibt. So sind wir Menschen konditioniert. Aber die Auswirkungen der Klimakrise sind nicht mehr so weit weg, es sind nicht mehr nur die Eisbären.
Welche Rolle spielen hier die Medien?
Altendorfer: Auch wenn man weiß, es gibt eine Krise, hört und liest man in den Medien oft nicht viel darüber. Ich blättere jeden Tag die Zeitung durch und suche nach Themen für den Verein (Nachhaltig in Graz, Anm.), finde aber oft nichts dazu. Ich habe aber wohlwollend gesehen, dass zum Beispiel über die Überflutungen in Deutschland stärker berichtet wurde.
De Wit: 97 Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind sich einig: Es gibt einen Klimawandel und er ist menschengemacht. Früher wollten Journalisten aber immer zwei Seiten befragen, also auch einen Wissenschaftler, der sagt, das stimmt nicht. Das hat die Wahrnehmung verzerrt und bei der Bevölkerung den Eindruck erweckt, dass sich die Wissenschaft hier nicht einig ist. Mittlerweile hat sich das geändert, das ist gut.
Altendorfer: Auch die Politik hat hier eine wichtige Rolle. Momentan ist das Wort “Verzicht” in aller Munde. Aber worauf verzichten wir jetzt gerade? Auf frische Luft, auf unsere Gesundheit, auf unseren Lebensraum.
Und die Schulen?
Altendorfer: Die Schule hätte ein enormes Potential. Es ist krass, dass bis jetzt so wenig gemacht wurde. Mein jüngerer Sohn hat vor zwei Jahren in Biologie und Umweltkunde maturiert – bei den Maturathemen war nichts über den Klimawandel dabei. Da ist eine wahnsinnige Lücke im Lehrplan. Dabei könnte man das Thema in alle Fächer einfließen lassen.
Gobiet: In der Corona-Zeit habe ich viele Lehrveranstaltungen im Schulbereich gehalten und habe das Gefühl gehabt, dass das gut ankommt und es Bedarf gibt, Klimathemen besser zu erklären. Es gibt nicht so viele Themen, bei denen man das Gefühl hat, dass sie gesellschaftliche Relevanz und etwas mit dem wirklichen Leben zu tun haben. Beim Klimawandel ist das aber offensichtlich, also wundere ich mich, dass sich nicht alle Lehrer darauf stürzen.
Wie schätzen Sie den Wissensstand zu Klimathemen unter den Österreicher*innen ein? Wo gibt es Wissenslücken und Missverständnisse?
Altendorfer: Normale Dinge zum nachhaltigen Leben wie Mülltrennung sind präsenter. Bei den richtigen Klimathemen – Was macht das CO2 in der Atmosphäre, warum ist das menschengemacht? – fehlt oft das umfassende Wissen, auch bei gebildeten Menschen. Vor allem in einer bestimmten Altersschicht, in deren Jugend noch andere Umweltprobleme ein Thema waren, wie das Ozonloch oder der saure Regen, ist das der Fall.
Gobiet: Ich weiß nicht, ob es eine Wissenslücke ist, aber ein Symbol für eine Problematik ist diese Aussage unseres Bundeskanzlers: “Wir wollen nicht zurück in die Steinzeit.” Hier fehlt noch viel Erkenntnis, nämlich dass nicht jede Änderung eine Einschränkung bedeutet. Es kann zum Beispiel befreiend sein, nicht jeden Tag mit dem Auto im Stau zu stehen, sondern mit dem Rad durch den Park zu gleiten. Da ist aber bei den Menschen noch ganz viel Abwehr da.
De Wit: Häufig gibt es die Frage: Das Klima hat sich schon immer verändert, warum soll es jetzt an den Menschen liegen? Früher hat sich das Klima durch natürliche Antriebe, zum Beispiel Vulkane, verändert, das stimmt. Wo heute Salzburg ist, war einmal eine 600 Meter dicke Eisschicht. Aber seit der industriellen Revolution ist der Mensch für die Veränderung verantwortlich, ohne diese Komponente kann man den Temperaturanstieg nicht erklären. Das ist aber kein Widerspruch, früher war es natürlich, heute menschengemacht. Einerseits klingt es negativ, wenn man sagt, der Klimawandel ist menschengemacht: Aber wenn wir etwas verursachen, können wir auch etwas dagegen tun. Wenn die Veränderung natürlich wäre, wären wir ihr hilflos ausgeliefert, aber jetzt haben wir die Möglichkeit, aktiv entgegenzusteuern.
Rosmarie de Wit ist Atmosphärenphysikerin und arbeitet seit 2016 an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG). Zunächst forschte sie zum Klimawandel und zur Hitze in Städten, vor zwei Jahren wechselte sie in die Öffentlichkeitsarbeit und ist nun vermehrt in der Wissensvermittlung tätig.
Andreas Gobiet (ebenfalls ZAMG) beschäftigte sich lange Zeit mit regionalen Klimamodellierungen und erforschte den Klimawandel in Europa und im Alpenraum. Mittlerweile hat er sich auf Klimadienstleistungen, also die Aufarbeitung von Informationen für bestimmte Zielgruppen, spezialisiert.
Beatrix Altendorfer engagierte sich schon in ihrer Jugend für einen klimaschonenden Lebensstil und gründete 2017 den Verein „Nachhaltig in Graz“, der neben einem Blog und Vorträgen mit Informationen zu Klimathemen unter anderem auch einen „Verschenk-Laden“ zur Ressourcenschonung betreibt.
Dass Bildung ein wichtiges Instrument im Kampf gegen den Klimawandel ist, bestätigt auch das Pariser Klimaschutzabkommen: “Maßnahmen zur Verbesserung der Bildung, der Ausbildung, des öffentlichen Bewusstseins, der Beteiligung der Öffentlichkeit und des öffentlichen Zugangs zu Informationen auf dem Gebiet der Klimaänderungen” sollen ergriffen werden, heißt es im Artikel 12.
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