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Widerstand im Club Auróra

Im Szeneclub Auróra kommen NGOs, Oppositionelle, die jüdische Kultur in Budapest und eine Bagelbäckerei zusammen. In Viktor Orbáns „illiberaler Demokratie“ haben Minderheiten keinen Platz in der Gesellschaft – hier schon. Der Regierung ist Auróra daher ein Dorn im Auge.

Es duftet nach frischem Gebäck. Inmitten der chaotischen Bagelbäckerei von Auróra steht Daniel Mayer, Mitglied des Club-Kollektivs. Er streicht sein Haar wie so oft mit Schwung nach hinten und sagt: „Bagel sind jüdisch und ultra sexy.“ Auróra ist sein zweites Zuhause. Mittlerweile kennt er alle jüdischen Feste und kann auch die hebräische Schrift lesen, obwohl er Atheist ist. Trägerverein des Clubs ist Marom Budapest, eine Grassroots-Organisation, die jüdische Kunst, Kultur und Religion vernetzt und so dem Judentum im heutigen Ungarn wieder mehr Platz einräumt. Darum feiert man hier viele jüdische Feste.

Theater made by Aurora
Der Innenhof von Auróra ist der Ort fürs Netzwerken vor und nach Workshops oder auch Theatervorstellungen an lauen Sommerabenden. © Zsuzsa Mekler

Auróra ist aber für alle offen, egal an was man glaubt oder woher man kommt. Somit finden hier nicht nur Jüdinnen und Juden einen Ort für Veranstaltungen und Diskurs, sondern auch eine bunte Ansammlung an NGOs (Nichtregierungsorganisationen), die teils Aufgaben einer demokratischen Regierungsform übernehmen.

Für die Rechte der Minderheiten

An der Bar im Erdgeschoss, dem Kioszk, gibt es die nach israelischem Rezept gebackenen Bagels mit süßen Füllungen. Vieles hier, wie Stühle und Tische, ist selbstgebaut. Ein Gast sitzt am Klavier und bespielt mit modernem Jazz den Raum, wodurch man sich wie in einem Wohnzimmer fühlt. In den Büroräumen nebenan arbeiten NGOs, die sich für die Rechte von Roma, Homo-, Bi- oder Transsexuellen, Obdachlosen oder auch Prostituierten einsetzen. Etwas, das die ungarische Regierung derzeit nicht tut.

Auffangbecken für Oppositionelle

Ministerpräsident Victor Orbán und seine Partei Fidesz erschufen ein System, das Minderheiten ausgrenzt und nennen es eine „illiberale Demokratie“. Vom Konzert-Keller tönen Texte von ungarischen Rap-Musikern herauf, „Orbán“ ist eines der häufigsten Schlagwörter. „Im Auróra treffen sich Intellektuelle, Künstler, Aktivisten, Philosophen und Oppositionelle“, erzählt der Soziologe Mayer und grinst provokant. Wohl genau deshalb stört Auròra die Fidesz-Partei. Sichtbar macht sich das an Sanktionen, wie dem Lizenzentzug für die Bar letzten Sommer.

Daniel Mayer ist selbst Atheist aber feiert viele der jüdischen Feste im Auróra mit. © Sheila Eggmann

Das Ziel der Regierung: Auròra wirtschaftlich schwächen

Ende Juni 2017 kamen drei Briefe bei Auròra an. Diese bezogen sich auf eine Drogenrazzia auf einer Veranstaltung im Sommergarten. Gegen 15 Gäste wurden Strafverfahren eingeleitet. Laut den Briefen, entzog die Regierung dem Club mit sofortiger Wirkung die Lizenz für die Bar. Das hatte zur Folge, dass dem Club fortan zahlreiche Gäste und 80 Prozent der Einnahmen fehlten. Damit wurde versucht, den Club wirtschaftlich und somit auch die Gemeinschaft zu schwächen.

Kampf um die Bar-Lizenz

Auróra erhob Einspruch gegen den Lizenzentzug. Dieser basierte auf einem Gesetz, das wirksam wird, wenn gegen Lokale Strafverfahren wegen Menschenhandel oder Drogenherstellung und -handel eingeleitet werden. Da nichts davon im Club passierte, bekam das Kollektiv Recht und öffnete die Bar nach zwei Monaten wieder. Der Versuch, das Zentrum der Oppositionellen in Budapest zu schwächen, scheiterte vorerst.

Das stärkste finanzielle Standbein ist die Bar – nach zweimonatiger Pause im Sommer gibt es hier wieder Bier und Bagel. © Verena Sophie Maier

Soros-Unterstützung als Angriffsfläche

Der Innenhof ist an diesem Freitag Anfang November voller Menschen. Vorwiegend junge Leute pendeln zwischen Bar und Innenhof unter freiem Himmel hin und her. Mayer raucht in der kurzen Pause zwischen seinen Erzählungen hektisch eine Zigarette. Ein weiterer Angriffspunkt für die Regierung sei die Verbindung zwischen Auróra und George Soros. Der gebürtige Ungar und Jude lebt in den USA. Er unterstützt seit Jahren zivilgesellschaftliche Projekte – eine Zeit lang auch eines von Auróra, mit dem es die Nachbarschaft stärken wollte. „Stopp Operation Soros“ wurde im vergangenen Sommer auf die Hauswand des Clubs gesprayt.

Abgestempelt als Soros-Zentrum

In den Medien wird Auróra als Zentrum der Soros-Anhängerinnen und -Anhänger dargestellt. Das spielt der Propaganda-Strategie der Regierung in die Hände, denn mit Auròra hat die Regierung einen Ort gefunden, den sie gezielt attackieren und mit Soros in Verbindung bringen kann. Über Soros gehen die Meinungen in der Bevölkerung auseinander. Dass das Lokal als Zentrale des Netzwerks in Budapest gilt, drückt Auróra den Soros-Stempel auf.

Zusammenkommen und Netzwerken

In Zeiten wie diesen sei der Zusammenhalt bei Auróra wichtig, meint Mayer. Workshops, Seminare und Feiern verbinden. Feiern und Freitagsgebete, an denen auch viele nicht-religiöse teilnehmen, finden in der Synagoge von Auróra statt. Circa die Hälfte des Kollektivs ist jüdisch. Mayer erzählt mit der Tora in der Hand vom alljährlichen jüdischen Fest Purim.

Am Fest Purim wird das Buch Ester, eines der wenigen von Frauen geschriebenen Bücher im Judentum, szenisch vorgespielt. © Zoltán Adrián

Er vergleicht es mit dem Fasching in Österreich. Szenisch wird das Buch Ester nachgespielt. „Jeder muss so viel Wein trinken, bis er nicht mehr zwischen den Zitaten ‚Verflucht sei Haman‘ und ‚Gelobt sei Mordechai‘ unterscheiden kann“, erklärt Club-Mitglied Mayer und lacht laut. Seine Wangen sind ganz rot während er auf Hebräisch aus der Tora vorliest. Eigentlich singt man die Gebete als Jüdin oder Jude. „Singen werd‘ ich jetzt nicht“, sagt er und schlägt das Buch zu. Mitsingen wird der Atheist – wie immer – erst wieder bei der nächsten Feier, wenn alle anderen singen.


Text: Katharina Brunner| Fotos: Zsuzsa Mekler, Zoltán Adrián, Verena Sophie Maier, Sheila Eggmann

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