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Perspektiven geben

Roma leben meist am Rande der Gesellschaft und unter einfachsten Bedingungen. Der aus Österreich stammende Jesuit Pater Georg Sporschill will mit dem Verein Elijah diesen Menschen helfen. 

Das Lehmhaus der elfköpfigen Familie besteht aus einem dunklen Raum, mit zwei Betten. Auf dem Kasten sitzen zwei Tauben. Ihr Kot ist im ganzen Haus verteilt. Überall stapelt sich das schmutzige Geschirr. Der Mittelpunkt des Hauses ist ein Lehmofen, der zum Heizen und Kochen dient. Rundherum versinkt der Hof im Morast. Die Kinder haben fettige Haare und dreckige Kleidung. Die Schwester schlägt ihren kleinen Bruder, der geht in den Garten und schlägt den nächsten Hund. Inmitten dieses Chaos hält die Mutter etwas hilflos ihr jüngstes Kind im Arm. Die Überforderung ist ihr ins Gesicht geschrieben. Sie muss sich alleine um die Familie kümmern, während der Vater Schafe in den Bergen hütet. Zwei ihrer Kinder leben ein paar Häuser weiter in einem Haus der Elijah-Gemeinschaft bei Pater Georg Sporschill.

Nach der Volksschule besucht nur mehr jedes zehnte Roma-Kind eine höhere Schule. Grund dafür ist oftmals Geldmangel

Die Roma aus Dallas

In der Ferne leuchten die Gipfel der schneebedeckten Karpaten, ein paar Pferde grasen auf den Weiden davor. Inmitten dieser Idylle liegt das 800-Seelen-Dorf Holzmengen. Die Roma leben hier in einem Ortsteil, den sie „Dallas“ nennen. Ein Dorfbrunnen teilt das Dorf. Auf der einen Seite des Brunnens haben die Menschen fließend Wasser, die Roma hingegen müssen ihr Wasser täglich vom Brunnen holen. Hier in „Dallas“ wurde der Verein Elijah von Sporschill und der ehemaligen Caritas Mitarbeiterin Ruth Zenkert gegründet. Das Projekt fing klein an: Mit ehemaligen Straßenkindern aus Bukarest und nichts weiter als einer großen Tasche, kamen Sporschill und Zenkert 2012 nach Holzmengen, da dort ein Haus zum Verkauf stand. „Es ist schon alles gesagt über Roma, sodass nichts mehr hinzugefügt werden muss. Die Frage ist nur, wer ihnen helfen kann“, fasst Sporschill die Situation der Roma zusammen. Etwa 2 Millionen Roma leben in Rumänien, der Großteil in ländlichen Gebieten. Selbst EU-Initiativen, die die Integration der größten europäischen Minderheit gewährleisten sollen, werden von rumänischen Roma-Experten, wie Valeriu Nicolae, als problematisch empfunden. Nicoale ist selbst Rom und gründete das Policy Center for Roma and Minorities in Bukarest. Auf seinem Blog kritisiert er, dass Strategien ohne Einbeziehung von Roma entworfen werden und es sogenannten Expertinnen und Experten schlichtweg an praktischer Erfahrung fehle.

Selbstständig leben

Eine wirkliche Strategie verfolgt auch Sporschill nicht. Er wünscht sich nur, dass die Roma selbstständig ihr Leben meistern. Sporschill hat sich zur Aufgabe gemacht, für Geld und Essen zu sorgen. Schon seit 1991 ist er in Rumänien tätig. Sporschill kümmerte sich jahrelang um Straßenkinder in Bukarest und war an der Gründung von CONCORDIA beteiligt, wo er sein Engagement fortsetzte, bis er im Jahr 2012 nach Holzmengen kam. Die anfängliche Skepsis des örtlichen Bürgermeisters ist inzwischen offenbar verschwunden: „Wir haben Narrenfreiheit. Der Bürgermeister ist mittlerweile froh über unsere Arbeit hier“, sagt Sporschill.

Nicht alle Kinder in Holzmengen haben ein festes zu Hause. Janusz (Mitte) ist ein Straßenkind

Auf der Terrasse des Sozialzentrums von Elijah versammelt der charismatische Pfarrer gerne seine „Ersatzfamilie“, um gemeinsam zu beten und zu essen. Das Tischgebet spricht meist einer seiner Schützlinge. „Das einzige, was uns kein Problem macht, ist die Religion. Die Roma sind alle so fromm, dass es kracht“ sagt der 71-Jährige mit einem Lachen im Gesicht. Neben der Terrasse entsteht ein Gemüsegarten – hier sollen die Einwohnerinnen und Einwohner etwas über Landwirtschaft lernen, um sich selbst versorgen zu können. Zudem können die Menschen im Dorf in einer Bäckerei, Tischlerei oder Metzgerei arbeiten. Das Herzstück bildet die Musikschule. Alle Projekte werden über Spenden finanziert.

Musik verbindet

Ein junger Rom, der in Holzmengen mit den Kindern musiziert, ist Florin. Er ist als Sozialarbeiter bei Elijah angestellt. Als Straßenkind in Bukarest, kam er vor elf Jahren zu CONCORDIA und ging 2013 nach Holzmengen. „Alle hier nennen mich Beatbox“, erzählt er. Seinen Namen hat er sich verdient, weil er in seiner Freizeit versucht, den Kindern im Dorf das Beatboxen beizubringen. Sie hören ihm zu und machen es dann nach. „Wichtig ist, dass es dir gefällt. Wenn dir etwas gefällt, dann lernst du leicht“, erklärt er. Kaum einer kennt Florins richtigen Namen. „Ich weiß, nicht alle haben so ein Glück wie ich, wenn sie mal auf der Straße waren“, erzählt er über seine Vergangenheit. Heute hat er sein eigenes Zimmer und verdient Geld. Wenn Florin über seine Zeit in Bukarest erzählt, wirkt er nachdenklich und ernst, denn er hat viel Elend auf der Straße gesehen. Er weiß, wie wichtig seine Arbeit ist. Mittlerweile kennt er alle Familien im Dorf und hilft, wo er nur kann. Aus dem ehemaligen Straßenkind ist ein aufmerksamer und gastfreundlicher junger Mann geworden.

Musik spielt in der Kultur der Roma eine große Rolle. In der Musikschule in Holzmengen haben vor allem Kinder die Möglichkeit, ein Instrument zu lernen. Sie lernen nicht nur zu musizieren, sondern auch die Bedeutung von Disziplin – denn die Musikstunden sollen sie auf die Schule vorbereiten. In Rumänien gibt es zwar die Schulpflicht, doch „die Lehrpersonen sind froh, wenn sie nicht kommen“, sagt Sporschill. In der Schule seien Roma oft nicht zuletzt wegen mangelnder Körperpflege Außenseiter. Zwischen 80 und 90 Prozent der rumänischen Roma-Kinder gehen zumindest in die Volksschule, eine höhere Schule besucht jedoch nur jedes zehnte Kind.

Florin zeigt, wie er sich den Namen Beatbox verdient hat

Arbeiten lernen

Nicht jeder im Dorf nimmt die Projekte des Vereins positiv auf, erzählt einer der Volontäre. Einige der Frauen würden lieber zu Hause bleiben, um Kinder zu bekommen, als etwas zu lernen.Wird die Hilfe jedoch akzeptiert, hätten die Roma gute Chancen, in der Stadt Arbeit zu finden, ist Sporschill überzeugt: „Jeder, der etwas kann, ist in Rumänien gesucht“. Studien zeichnen jedoch ein anderes Bild: Zwar fehlen in Rumänien wegen der starken Emigration nach Westeuropa oftmals Arbeitskräfte, die Hälfte der Roma jedoch ist arbeitslos. Eine groß angelegte Studie der Soros Foundation Romania, zur Lage der Roma in Rumänien aus dem Jahr 2011 kam zu dem Ergebnis, dass nur 10 Prozent regelmäßig einer Arbeit nachgehen. Hinzu kommt, dass Roma am Arbeitsmarkt auch heute noch Diskriminierungen ausgesetzt sind.

Elijah versucht in kleinen Schritten, Roma Familien aus ihrem Elend zu holen. Ein Projekt, das sich ein schier unmögliches Ziel gesetzt hat: in einem kleinen Dorf zwischen Roma und der restlichen rumänischen Bevölkerung Akzeptanz zu schaffen. In diesem kleinen Dorf hat Sporschill seine neue Heimat gefunden: „Es ist eine verkehrte Welt. Hier zusammenzuleben ist nicht immer ganz einfach, aber es ist ein Versuch.“


Text: Johanna Wöß | Fotos: Christina Rebhahn – Roither

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