In einem Haus am Stadtrand von Bukarest leben und arbeiten drei Generationen von Frauen unter einem Dach. Bratara, Mihaela und Cassandra sind Romnija und Hexen. Ein Besuch bei drei Frauen, die zwischen Diskriminierung, Social Media und uraltem Handwerk ihren Platz in der Welt suchen.
An der Mauer eines rot gestrichenen Hauses in Mogoșoaia weht ein Plakat sachte im Wind. Darauf ist eine Frau mit schwarzem Kopftuch zu sehen, die ihre Finger mit perfekt manikürten Nägeln über einer Kristallkugel spreizt. „Ich bin die mächtigste Hexe Europas“ steht darüber. „Kontaktieren Sie mich auf Facebook oder WhatsApp.“
Mihaela Minca steht neben ihrem überlebensgroßen Abbild und lächelt freundlich. Ihr schwarzes Haar ringelt sich unter dem Tuch, das sie um den Kopf geschlungen trägt, und um ihren Hals klimpern kleine, goldene Münzen an einer Kette. In dem Haus hinter ihr lebt und arbeitet Mihaela gemeinsam mit ihrer Schwiegermutter Bratara Buzea und ihrer Tochter Cassandra. Die drei Frauen sind die bekanntesten Hexen Rumäniens.
„Wer als Tochter einer Hexe geboren wird, ist auch eine Hexe“
Cassandra, eine schöne, zurückhaltende junge Frau, wartet auf der Veranda vor dem Haus. Auch sie trägt ein Tuch über dem Haar, rosa mit goldenem Muster. Bald soll sie die Nachfolge ihrer Großmutter Bratara antreten, dem Oberhaupt der Familie. Bratara ist siebzig Jahre alt, eine kleine Frau mit hellen Augen und rauer Stimme.

Ihr verwegenes Auftreten brachte ihr mediale Aufmerksamkeit und den Titel „Königin der Hexen“ ein. Jetzt zieht sie sich langsam zurück und legt ihr Erbe in die Hände der 19-jährigen Cassandra.
Alleine in Bukarest sind Schätzungen zufolge vierzig Hexen tätig. Die Frauen stammen, wie Mihaela, Cassandra und Bratara, meist aus dem Volk der Roma. Sie stiften und lösen Ehen, verfluchen ungeliebte Menschen und sagen die Zukunft voraus. Das Handwerk wird traditionell von einer Generation zur nächsten weitergegeben. „Wer als Tochter einer Hexe geboren wird, ist auch eine Hexe“, erklärt Mihaela. Diese Tradition rückt die Frauen in den Mittelpunkt ihrer Familien. Sie verdienen das Geld, während sich die Männer eher im Hintergrund halten. Auch Mihaelas Mann betritt während des Besuchs nur einmal den Raum und ist gleich darauf wieder verschwunden.
Flüche für die Steuerfreiheit
Wie viele Hexen es insgesamt in Rumänien gibt, ist nicht bekannt, denn der Beruf wird von der Regierung nicht offiziell anerkannt. Dadurch sind die Frauen auch von der Einkommenssteuer befreit, was ihr Geschäft lukrativ macht: Je nach Art des Zaubers verlangen sie bis zu einem rumänischen Monatslohn für ihre Dienste. Über die genauen Preise bewahren die meisten Hexen aber Stillschweigen.
Ende 2010 wurde darum ein Gesetzesentwurf vorgestellt, der vorsah, dass sie steuerpflichtig werden sollten.

Viele von ihnen protestierten, so auch Bratara, die dem verantwortlichen Politiker Alin Popoviciu öffentlich androhte, ihm eine Querschnittslähmung an den Hals zu hexen. Wegen der Furcht einiger Politiker vor solchen Flüchen wurde der Vorschlag nie Gesetz: „Manche meiner Kollegen hatten Begegnungen mit Hexen. Sie zogen es vor, das Gesetz nicht zu verabschieden, weil sie Angst hatten, dass ihnen etwas passiert“, erzählte Popoviciu in einem Interview mit Broadly.
Liebe hat ihren Preis
Cassandra greift nach zwei Rosen und beginnt, mit geübten Griffen die Blüten abzureißen. Sie fallen sanft in die mit Wasser gefüllte Schüssel, die ihre Mutter auf dem Schoß hält. Mihaela stellt sie ab, greift nach einem Einmachglas, das eine grobkörnige, weiße Paste enthält, und hält es gegen das Licht. „Hier drin“, erklärt sie, „sind Zucker, Honig, und Muttermilch.“ Cassandra nimmt das Glas und rührt die Paste mit einem Holzlöffel in das Wasser.

Währenddessen streckt Mihaela ihre Hand über die Schüssel und beginnt, Zauberformeln aufzusagen. Ihre Stimme folgt der geschmeidigen Melodie des Romani, der traditionellen Sprache der Roma. An bestimmten Punkten bekräftigt sie das Gesagte mit „Amin“, also Amen, und einem angedeuteten Ausspucken.
Dann hebt sie die Schüssel hoch und erklärt: „Dieses Wasser wird nun bei Sonnenaufgang, zu Mittag und bei Sonnenuntergang einem Ritual unterzogen. Wenn ein Mädchen zu uns kommt, das heiraten will, muss es sich mit dem Wasser drei Tage lang das Gesicht und den Körper waschen.“ Sie lehnt sich neben Cassandra auf der Couch zurück und lächelt zufrieden. „Dann wird ihr Leben schöner und heller werden, und sie wird mit jemandem zusammen sein, den sie liebt.“
Zwischen Facebook und Kuhherzen
Auf dem Sofa neben Cassandra liegt ihr Smartphone in seiner hellrosa Hülle. Sie zupft eine Rosenblüte von ihrem Rock und nimmt es wieder an sich.

Social Media spielt in ihrem Arbeitsalltag eine große Rolle, denn über Facebook kontaktiert sie der Großteil ihrer Kundinnen und Kunden. Vor wenigen Tagen hat Cassandra die Facebookseite ihrer Großmutter übernommen und postet für die über tausend Abonnentinnen und Abonnenten regelmäßig Bilder von sich selbst bei der Arbeit.
Auch Mihaela betreibt ihre eigene Seite. „Auf Facebook kontaktieren uns Menschen von allen Kontinenten. Es ist einfach und schnell“, erklärt sie. Per Direktnachricht senden die Kundinnen und Kunden den Hexen alle Informationen, die sie für einen Zauber benötigen. Meist reichen Namen und Geburtstage der betreffenden Personen für einen Blick in die Kristallkugel aus. Auch für telefonische Beratung sind die Frauen ständig erreichbar.
„Wir werden behandelt, als wären wir keine normalen Menschen“
Während Cassandra versucht, dem Erbe ihrer Großmutter und Social Media gleichzeitig gerecht zu werden, hatte Bratara in ihrem Alter mit ganz Anderem zu kämpfen. Unter dem kommunistischen Regime Ceauşescus war Hexenkunst verboten. Als junges Mädchen wurde Bratara inhaftiert und verbrachte mehrere Monate im Gefängnis. „Mama wurde festgenommen, weil sie die Tochter einer Hexe war. Da war sie noch ganz jung“, erzählt Mihaela.
Doch obwohl die offizielle Diskriminierung nach dem Sturz Ceauşescus ein Ende fand, fühlt sich Mihaela noch immer benachteiligt: „Wir werden behandelt, als wären wir keine normalen Menschen. Aber die Leute, die öffentlich auf uns herabsehen, kommen dann im Geheimen zu uns und bitten um Hilfe.“

Beherzt gegen böse Geister
Mihaela schüttelt den Kopf und wendet sich dem nächsten Zauber zu. „Dieses Ritual vertreibt böse Geister und schlechte Gedanken“, erklärt sie. Auf einem Metalllöffel bringt sie etwas Bienenwachs zum Schmelzen und rührt es anschließend mit einer verbeulten Sichel und einigen Nägeln um. „Die müssen jetzt in das Herz eines Tieres gesteckt werden“, sagt sie, nimmt die Metallinstrumente an sich und geht hinaus in den Garten. Dort steht eine kleine Hütte, in der sich ein Kühlschrank und ein Gasherd befinden.
Sie bückt sich und holt das Herz einer Kuh aus einem Kühlfach. Es ist so groß, dass sie es mit beiden Händen umfassen muss. Cassandra dreht die Gasflamme am Herd auf und beginnt, Sichelspitze und Nägel vorsichtig zu erhitzen.
Dann reicht sie sie ihrer Mutter, die das heiße Metall in das rohe Fleisch bohrt, während sie Zauberformeln aufsagt. Der Geruch von Gas und verbranntem Fleisch zieht durch die Gartenhütte. Das durchbohrte Herz legt Mihaela in ein Glas und übergießt es mit Kerzenwachs, das sich zischend darauf verfestigt. „Fertig.“, sagt sie dann zufrieden lächelnd. „Jetzt brauche ich eine Pause.“
Text: Ricarda Opis | Fotos: Anna Eisner-Kollmann & Teodora Ungureanu