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Die Zuversicht wächst – Wirtschaft in der Ukraine

Ukrainische Produkte in Österreichs Supermärkten? Fehlanzeige –  trotz eines im Jahr 2014 unterzeichneten Assoziierungsabkommen mit der EU. Das Abkommen brachte der schwer gebeutelten, ukrainischen Wirtschaft trotzdem einen dringend benötigten Aufschwung.
Text: Michael Gratzer, Bild: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons)

Volle Regale in den Gängen der heimischen Supermärkte. Gewürze aus Mexiko, eingelegtes Gemüse aus Thailand und traditionelle Süßspeisen aus der Türkei — doch wo sind die ukrainischen Produkte? Die Verkäuferinnen und Verkäufer erklären uns, dass dies offenbar Firmenpolitik sei. Genaueres sei ihnen auch nicht bekannt. Auch auf genauere Nachfrage bei der Geschäftsleitung bekommen wir keine Auskunft.

Der Aufschwung bleibt aus

Seit der endgültigen Unterzeichnung des Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine im Juni 2014 sehen Wirtschaftsexperten das Land auf dem richtigen Weg. Sie erwarten einen wirtschaftlichen Aufschwung. Die EU kam der Ukraine aufgrund der tristen Lage am ukrainischen Wirtschaftsmarkt entgegen. Sie erleichterte den Zugang für ukrainische Produkte auf den europäischen Markt.

Die Realität sieht heute noch anders aus: Obwohl das Freihandelsabkommen seit 2016 offiziell in Kraft ist, ist es nicht einfach, ukrainische Produkte in Österreich zu kaufen. Möglich ist dies nur in diversen Online-Shops oder in spezialisierten Supermärkten.

“Die EU ist schuld”

Der ukrainische Agrarminister Taras Kutowyj sieht das Problem bei der EU. In einem Interview mit dem TV-Sender ICTV sagt er: „Die Herstellungskosten sind bei uns niedrig, weswegen die EU maximale Barrieren schafft, um unsere Produkte nicht durchzulassen. In einigen Bereichen gelingt es uns, sie beiseite zu schieben, aber es gibt noch großen Widerstand.“ Kutowyj greift damit die EU direkt an, um welche Barrieren es sich handelt, lässt er offen.

Auch der Wirtschaftsdelegierte in Kiew, Hermann Ortner von der Wirtschaftskammer Österreich kann sich die Aussage Kutowyjs nicht erklären: “Grundsätzlich ist zur angesprochenen Thematik zu sagen, dass üblicherweise jedes Land in bilateralen Wirtschaftsbeziehungen interessiert ist, möglichst freien Zugang für seine Exportprodukte in anderen Ländern zu haben.” Störversuche der EU seien ihm unbekannt.

Das Freihandelsabkommen brachte zwar erste Wirkungen. Die starke Inflation der Jahre 2014 und 2015 konnte eingedämmt und im Jahr 2016 auf einem stabilen Niveau gehalten werden. Auch das Bruttoinlandsprodukt ist laut ersten Schätzungen der WKO leicht gestiegen, genaue Zahlen liegen derzeit noch nicht vor. Der wirtschaftliche Aufschwung scheint aber noch ausbaufähig zu sein.

Internationale Organisationen investieren kräftig

Das Wachstum der Wirtschaft wird aber vor allem durch den Kriegszustand in der Ostukraine behindert. Das Verhältnis zu Russland hat sich dadurch verändert: Nach der Annäherung an die EU und dem noch andauernden Konflikt stoppte Russland seine Importe aus der Ukraine. Präsident Putin ging sogar so weit, dass er den Freihandel mit der Ukraine gänzlich aussetzte. Der österreichische Wirtschaftsdelegierte Ortner in Kiew erläutert: “Die Handelsbeziehungen zwischen Russland und der Ukraine sind unseres Wissens seit einigen Jahren stark rückläufig.” Obwohl keine genauen Zahlen vorliegen, schätzen Experten den Verlust für die Ukraine auf mehreren Milliarden Euro.

Ein Beispiel für den Rückgang der Wirtschaftsleistung ist die Bauwirtschaft, die in den letzten Jahren einen großen Teil zur wirtschaftlichen Dynamik beitrug. Auch die aktuelle Inflation macht die Auftragslage schwierig. Wenn die Kaufkraft sinkt, konsumieren die Menschen weniger und die Wirtschaft verliert ihre Impulse. Ukrainische Unternehmer hoffen zunehmend auf die Unterstützung durch  internationale Organisationen, wie zum Beispiel den Internationalen Währungsfond oder die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Diese Organisationen investieren Geld in der Ukraine, mit den Zielen, das Land zu stabilisieren und einen wirtschaftlichen Aufschwung zu fördern.

Laut Prognosen der WKO Österreich ist für 2016 und 2017 ein Wachstum der ukrainischen Wirtschaft zu erwarten. Quelle: WKO Österreich
Laut Prognosen der WKO Österreich ist für 2016 und 2017 ein Wachstum der ukrainischen Wirtschaft zu erwarten. Quelle: WKO Österreich

Landwirtschaft als Hoffnungsträger

Die Nahrungsmittelindustrie sowie die Land- und Forstwirtschaft wurden von der Krise weitgehend verschont. Trotz der massiven Probleme ist die Ukraine weltweit der drittgrößte Getreide-Produzente. Rund ein Fünftel der Bevölkerung bezieht daraus den Lebensunterhalt. Begünstigt wird dies vor allem durch die großen Schwarzerde-Felder der Ukraine – dieser Boden gilt als sehr fruchtbar. Allerdings müssen sich die ukrainischen Landwirte diese Gebiete mit internationalen Konzernen teilen. Im Zuge des “Land-Grabbings” haben sie riesige Mengen an Ackerfläche zu einem extrem günstigen Preis gepachtet oder gekauft.

Die Wirtschaftskammer Österreich mit ihrer Außenstelle in Kiew sieht vor allem im Agrarsektor großes Potential für Investitionen österreichischer Unternehmen: “Lieferanten von Ausrüstungen und Maschinen zur effizienteren Arbeitsweise und besseren Energieeffizienz haben sehr gute Geschäftschancen.” Doch österreichische Investoren zögern. Sie schreckt besonders die rechtliche Unsicherheit ab: Korruption und steuerliche Fehlschläge machen vor der Wirtschaft nicht Halt.