Während viele Nationalratssitzungen in Österreich eher ereignislos ablaufen, dürfte das in der Ukraine selten der Fall sein. Korruption, der Russland-Konflikt oder die bunte Parteienlandschaft sorgen immer wieder für Schlägereien im Parlament.
Text: Simon Michl
Das ukrainische Parlament (übersetzt „Oberster Rat“) ist um einiges bunter zusammengesetzt als in Österreich. Seit der letzten Wahl sitzen neun Fraktionen im Parlament, nur ein Bündnis ist pro-russisch ausgerichtet. Präsident Petro Poroschenko löste im Zuge seines Friedensplans 2014 das Parlament per Dekret auf. Bei den Neuwahlen verloren der Oppositionsblock und Tymoschenkos AVV (All-Ukrainische Vereinigung „Vaterland“) jeweils rund 20 Prozentpunkte. Die Volksfront wurde auf Anhieb stärkste Kraft, die meisten Sitze bekam aber der Block Poroschenko, da er mehr Wahlkreismandate holte. 27 Sitze blieben unbesetzt, da in einigen Wahlkreisen in der Ostukraine keine Wahl durchgeführt werden konnte.
Keine Regierung mehr
Die neue Regierung hielt aber nicht lange: Nach einem knappen Jahr zog sich die RP (Radikale Partei) aus der Koalition zurück. Sie war nicht einverstanden mit einer Verfassungsänderung, die den Separatistengebieten im Osten mehr Eigenständigkeit verleihen würde. Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk (VF) wurde immer wieder Korruption vorgeworfen, selbst Poroschenko forderte eine Kabinettsumbildung. Jazenjuk überstand zwar ein Misstrauensvotum in der Rada, die AVV vermutete aber im Votum selbst Stimmenkauf und zog sich kurz darauf zusammen mit der “Selbsthilfe” aus der Regierung zurück.
Kein Regierungschef mehr
Die Regierung hatte daraufhin nicht mehr die benötigte Mehrheit und im April kündigte Jazenjuk seinen Rücktritt an. Dieser wurde von der Rada im Zuge der Abstimmung über einen neuen Ministerpräsidenten angenommen. Wolodymyr Hrojsman (BPP), bisheriger Parlamentspräsident, wurde zum Nachfolger gewählt. Parlamentspräsident ist seitdem Andrij Parubij (VF), seit April gab es durch die ständigen Parlaments-Krisen drei verschiedene Gesundheitsminister.
Handfeste Argumente
Immer wieder wird in den Medien von handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen ukrainischen Parlamentariern berichtet. Wer auf YouTube nach „ukraine parlament schlägerei“ sucht, erhält eine ganze Seite verschiedener Videos von Polit-Schlägereien. Erst kürzlich wurde Oleh Ljaschko, Vorsitzender der Radikalen Partei, Opfer von gleich zwei Angriffen während einer Fragestunde.
Selbst Premier Jazenjuk wurde einmal während einer Rede vom Pult weggezerrt – von einem Politiker des Regierungspartners BPP:
Bunte Parteienlandschaft
Was bei uns unvorstellbar wäre, kommt also in der Ukraine immer wieder vor. Ein Grund ist möglicherweise die Verteilung der Sitze: Es gibt im ukrainischen Parlament keine wie sonst übliche Trennung der Fraktionen, manche Abgeordnete sitzen inmitten ganz anderer „Farben“.

Bei der Parlamentswahl 2014 nominierten insgesamt 52 Parteien ihre Kandidatinnen und Kandidaten, 29 standen landesweit am Stimmzettel. Folgende schafften die Fünf-Prozent-Hürde bzw. kamen durch Bündnisse in die Rada:
- Block Petro Poroschenko „Solidarität“ (Mitte-rechts, pro-europäisch, Gründung 2001, 2015 mit Klitschkos UDAR vereinigt)
- Volksfront (wirtschaftsliberal, nationalkonservativ, pro-europäisch, Gründung 2014)
- Oppositionsblock (linksliberal, pro-russisch, Listenbündnis kleiner Parteien seit 2014)
- Selbsthilfe (wirtschaftsliberal, aktivistisch, pro-europäisch, Gründung 2012)
- Wiedergeburt (gemäßigt liberal, konservativ, pro-europäisch, Gründung 2004)
- Radikale Partei Oleh Ljaschko (rechtspopulistisch, liberal, pro-europäisch, Gründung 2010)
- All-Ukrainische Vereinigung „Vaterland“ (konservativ, pro-europäisch, Gründung 1999)
- Volkswille Ukraine (Mitte, pro-europäisch, Gründung 2014)

Politik für Oligarchen
Wirklich unabhängig von Geldgebern sind wohl nur die wenigsten Abgeordneten. Die Oligarchen haben durch ihre finanzielle Macht einen großen Einfluss auf die ukrainische Politik: Der Investigativjournalist Serhij Leschtschenko vermutete einst, dass nur 50 Abgeordnete der Rada unabhängig von Oligarchen seien. Die anderen würden von Oligarchen kontrolliert oder seien deren Stellvertreter. Seit den letzten Wahlen ist Leschtschenko einer von 21 Aktivistinnen und Aktivisten, die im Parlament sitzen.