Zum Inhalt springen

Was war und was blieb – eine ukrainische Studentin erzählt vom Euromaidan

Drei Fragen an die Studentin Sofiya Bohoslavets (21). Die junge Ukrainerin studiert Deutsche Philologie in Lwiw. Das Interview wurde auf Deutsch geführt. Interview: Romana Jantscher

BLANK X: Wie hast du den Euromaidan persönlich erlebt?

Sofiya Bohoslavets: Ich bin in Lwiw geblieben. Ich wollte natürlich auch nach Kiew, aber meine Eltern waren dagegen. Ich kann mich noch erinnern, als ich mich mit meiner Mama gestritten habe, am Tag vor der ersten Vertreibung der Protestierenden. Sie meinte, dass bald etwas ganz Schlimmes passieren wird. Damals konnte ich noch nicht glauben, dass die friedlichen Proteste der Studenten gewaltsam aufgelöst werden sollten.

Hat man die Geschehnisse am Kiewer Maidan auch in Lwiw gespürt?

In Lwiw war viel los. Die ganze Ukraine war aufgewühlt. Jeder Ort fühlte sich dazu verpflichtet, die bevorstehende Revolution zu unterstützen. Meine Tage vergingen alle ziemlich gleich zu dieser Zeit: ich stand mehrere Stunden mit meinen Freunden auf unserem Lwiwer Maidan, machte Krankenhausbesuche – da in Lwiw viele Verletzte aus Kiew behandelt wurden – und half gespendete Kleidung und Medikamente zu ordnen und verpacken. Die Meldungen in den Nachrichten wurden währenddessen immer schrecklicher. Der Höhepunkt war im Februar – bis jetzt klingt das Volkslied „Plyve Kacha po Tysyni“, mit dem wir die Toten betrauerten, in meinen Ohren und meine Augen werden feucht.

Hast du das Gefühl, dass sich seitdem etwas für dich geändert hat?

Zum Positiven verändert hat sich nicht viel: Der andauernde Krieg im Osten bleibt, unser Schokoladenkönig mit seiner Regierung [Anm.: Präsident Poroschenko] ist, wie alle anderen, zu geschickt beim Reden, aber zu lahm beim Handeln. Verantwortlich gemacht für die ganze Korruption werden nur einige Sündenböcke. Das Leben ist teuer und die hohen Preise machen es für die untere Schicht unerschwinglich. Nach positiven Änderungen kann man offensichtlich nur bei sich selbst suchen: Nachdem so viele Leute ihr Leben für die Ukraine geopfert haben, änderten sich die Dimensionen des Patriotismus. Ich und auch viele andere fühlen uns jetzt verpflichtet, unseren eigenen Fortschritt zu bewirken. Vielleicht helfen kleine Schritte der Gesellschaft, denn die großen Worte der Regierung bringen uns kein Stück weiter zu unserem Traum, uns endlich frei in unserem Land entfalten zu können.

Wortwörtlich ins Deutsche übersetzt bedeutet “Plyve Kacha po Tysyni” etwa “Das Entlein schwimmt”. Der Text handelt von einem Dialog zwischen einer Mutter und ihrem Sohn, der im Krieg als Soldat eingezogen wird. Es wurde nach dem Euromaidan gesungen, um die Opfer der Gewalt zu betrauern.