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Stop and Go für den ukrainischen Tourismus

Bis heute hat es die Ukraine nicht geschafft, sich als Tourismusland zu etablieren. Das Potential wäre gegeben, doch die Wirtschaftskrise, der Euromaidan und der anhaltende Krieg im Osten verhinderten bis jetzt den Durchbruch.
Text: Sarah Seifzenecker

Eine Europameisterschaft im Nirgendwo

Ein riesiger Fußball thront in etwa zehn Metern Höhe über dem Europäischen Platz in Kiew. Rings herum wehen ukrainische Fahnen im kalten Novemberwind. Täglich umrunden unzählige Autos das EM-Symbol, doch beachtet wird es kaum.

„Hier in Kiew hat die EM nicht sehr viel verändert“, findet Elena Konieva, Leiterin der Reservierungsabteilung im Hotel Ukraine. „Der Tourismus im Hotel Ukraine war auch davor schon gut.“ Der große Ball an der Kreuzung der wichtigsten Handelsstraßen in Kiew wirkt trotzdem fehl am Platz. Verlassen, zu groß, unpassend. Man kann sich kaum vorstellen, dass die Fußball Europameisterschaft vor wenigen Jahren der Höhepunkt des ukrainischen Tourismus folgte.

Weniger Tourismus als erhofft

2007 wurde die EM an Polen und die Ukraine vergeben. Beiden Ländern fehlte es damals an notwendiger Infrastruktur und Hotels, weshalb während der Vorbereitungszeit immer wieder Schwierigkeiten aufkamen. „Bei der Vorbereitung zur Euro wurde die Ukraine sehr kritisiert. Es wurde von den Medien immer nur das Schlechte herausgepickt“, sagt Paul Tomandl, Geschäftsführer von Reisewelt Ukraine in Lwiw.

Zum Start der EM, am 8. Juni 2012, war dennoch alles fertig. Vier Stadien in Donezk, Charkiw, Kiew und Lwiw waren bereit für spannende Spiele und jede Menge internationale Zuseherinnen und Zuseher. Doch wegen laufender Gerichtsprozesse gegen ehemalige Regierungsmitglieder der Ukraine boykottierten wichtige Vertreterinnen und Vertreter anderer Länder die EM mit ihrem Nicht-Erscheinen. Außerdem kamen, aufgrund der negativen Vorberichterstattung, weniger EM-Touristinnen und Touristen, als erhofft.

EM weckte touristisches Potential

Trotzdem: 23 Millionen internationale Ankünfte hat die Ukraine im Euro-Jahr zu verbuchen. Und viel positives Feedback von Besucherinnen, Besuchern und den Medien. Vor allem für die Regionen westlich von Kiew spielte das eine wichtige Rolle. „Durch diese Großveranstaltung wurde das touristische Potential geweckt. Wenn die EM in Lemberg nicht gewesen wäre, hätten wir heute noch kein Fünf-Sterne-Hotel. Da würde es noch immer, nur ein bis zwei Vier-Stern-Hotels geben, und halt die alten Sowjetbuden“, zieht Paul Tomandl Bilanz.

Im Jahr darauf machte sich die harte Arbeit in Sachen Infrastruktur und Unterkünfte für die EM teilweise bezahlt. „Nach der EM war der Tourismus im Westen mit Sicherheit besser als vorher. Solche Events haben einfach eine Langzeitwirkung“, sagt Tomandl. Mit der Bewältigung der „Aufgabe“ Europameisterschaft, wäre den internationalen Gästen vermittelt worden, dass das Land touristisch ausgelegt ist. Spätestens mit der EM war so das touristische Potential der Ukraine geweckt.

Tourismus versus Kriegsgebiete

Die grünen Bereiche zeigen die Gebiete mit gutem Tourismus in der Ukraine. Die roten hingegen jene, in denen Krieg geführt wird.
Grün: Top-Tourismusziele, Rot: Kriegsgebiete

Der Westen der Ukraine wird von Touristinnen und Touristen gerne besucht. Auch Kiew als Hauptstadt und Odessa am Schwarzen Meer im Süden der Ukraine sind im Vergleich gern besuchte Urlaubsziele. Der Osten wird aufgrund des anhaltenden Krieges – wenig überraschend – vermieden.

Trendwende Euromaidan

Doch dann kam der Euromaidan. Schon seit Beginn der Revolution im November 2013 waren die Zahlen zurückgegangen, aber nach den gewaltsamen Demonstrationen im Februar 2014 ist der Tourismus dann endgültig zusammengebrochen. „Im März wussten wir, dass wir in diesem Jahr keine einzige Reise durchführen werden“, erzählt Paul Tomandl. Und nicht nur der Reiseveranstalter Reisewelt Ukraine erhielt Absagen von künftigen Gästen. Die Zahl der internationalen Ankünfte ging auf 12,7 Millionen zurück.

Gleichzeitig stürzte die Währung ein, was zu einer neuen Entwicklung im Tourismus führte. Von nun an konnten es sich nur mehr reiche Ukrainerinnen und Ukrainer leisten, ins Ausland zu reisen. Erstmals machten Ukrainerinnen und Ukrainer Urlaub im eigenen Land und begannen Städtetrips in den Westen zu unternehmen. Das Potential für Tourismus im Inland ist mit 45 Mio. Einheimischen groß. „Der Inlandstourismus hat angefangen von Osten nach Westen zu wandern. Da hat sich dann die Infrastruktur, die seit der Europameisterschaft vorhanden ist, ausgezahlt“, sagt Tomandl.

Ebenfalls im Februar 2014 fand die Annexion der Krim durch Russland statt. Das ehemals beliebteste Urlaubsziel der Ukraine fiel damit weg. Diese Tatsache zeigt sich zwar sehr stark in den Zahlen, aber Paul Tomandl beschwichtigt: „Vom Krim-Tourismus hat nur die Krim selbst profitiert. Dass die Krim weg ist, war für die, ich nenne es immer die Kontinental-Ukraine, nicht schlecht.“ Die russische Besetzung der Krim war laut Tomandl somit ein weiterer Faktor, der den Inlandstourismus verstärkte und ausländische Gäste auf andere Reiseziele aufmerksam machte.

Der ukrainische Tourismus in Zahlen.
Ein Überblick über die durchwachsenen Tourismuszahlen der Ukraine der letzten 15 Jahre.

Ukraine setzt auf Europa

Für 2016 wird laut Tomandl ein Plus bei den internationalen Ankünften erwartet. Vor allem die Regionen westlich von Kiew stehen, aufgrund der Entwicklungen in den vergangen Jahren, als Gewinner da. Ausschließlich anhand der Anzahl an Touristinnen und Touristen, ist im Hotel Ukraine in Kiew kaum eine Veränderung ersichtlich. „Im Vergleich zur Zeit vor der EM geht es dem Hotel jetzt besser, weil mehr Europäer kommen“, weiß Konieva jedoch. Sie berichtet außerdem, dass es vermehrt Geschäftsreisende seien, die nach Kiew kommen. Noch vor einigen Jahren war das Hotel Ukraine auf Touristengruppen spezialisiert, jetzt wird es als Business-Hotel geführt.

Ein Vorteil für westliche Städte ist die geographische Nähe zu Westeuropa. Doch mittlerweile hat auch der Staat das touristische Potential des Landes erkannt und versucht, darauf aufzubauen. Laut PR-Stratege Sergey Didkovsky aus Kiew (auf usnews.com), möchte man das weltweite Bild von der Ukraine verbessern und zugleich die Botschaft vermitteln, dass es auch sichere Destinationen im Land gibt. Ein weiteres Lockmittel sollen die niedrigen Preise seit dem Zusammenbruch der Währung sein.

Der Staat, Hotels und Reiseveranstalter hätten es aber sehr schwer, die Ukraine als Reiseziel zu vermarkten, solange Medien weiterhin in gewohnter Regelmäßigkeit über die Auseinandersetzungen im Osten berichten, meint Paul Tomandl. Er sieht trotzdem optimistisch in die Zukunft und kann auch der negative Berichterstattung etwas Positives abgewinnen: „Die Ukraine war jetzt tausende Male in den Nachrichten – jeder Trottel weiß jetzt was die Ukraine ist. Und alles hat ein Ende.“ Ob sich das Motto „Bad News is Good News“ auch für den ukrainischen Tourismus bezahlt macht, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.

Recherchebox

Die Autorin beschäftigte sich vor der Exkursion der Redaktion in die Ukraine intensiv mit der Entwicklung des Tourismus der letzten fünf Jahre. In Lwiw führte sie ein Interview mit Paul Tomandl, dem Geschäftsführer des Reiseveranstalters Reisewelt Ukraine. Elena Konieva gab der Autorin einen Überblick über die Tourismusentwicklung in Kiew. Konieva ist Leiterin der Reservierungsabteilung im Hotel Ukraine, im Zentrum Kiews. Mit den gesammelten Informationen im Internet sowie vor Ort entstand dieser Rückblick auf den Tourismus in der Ukraine in den vergangenen Jahren.